100 Jahre BKK Pfalz – wie viele Fusionen lagen auf diesem langen Weg?
Fusionen waren es nicht so viele, wie man denken könnte. Wir haben drei Partner aufgenommen: die BKK Gienanth, die BKK G+H und die BKK Vital. Das passte zum üblichen Konzentrationsprozess der Krankenkassen, wie wir ihn in den letzten Jahren erlebt haben – von über 1000 Kassen auf jetzt 97.
Haben sich diese Fusionen gelohnt?
Eindeutig ja, weil wir gemeinsam für unsere Versicherten und Arbeitgeber bessere und innovativere Leistungen und Services anbieten können.
Braucht es dazu größere Kassen?
Gerade für die Herausforderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, brauchen Kassen eine gewisse Größe. Vor 100 Jahren haben viele Unternehmen mit einer eigenen Krankenkasse für ihre Beschäftigten gesorgt. Heute verändern sich Unternehmen ständig. Übernahmen und schnelle Ausgliederungen von Geschäftsbereichen verändern Betriebe schnell und oft. Damit funktioniert das Geschäftsmodell einer reinen, betriebsbezogenen Krankenkasse zunehmend nur noch bei Großkonzernen. Aber natürlich haben mittelgroße Krankenkassen wie die BKK Pfalz viele Vorteile für die Versicherten. Wir sind einfach flexibler, was Neuerungen angeht. Wir können schnell reagieren, und wir sind näher dran an den Menschen.
Eine kleine Zeitreise – wie sah aus der Sicht einer Krankenkasse die Finanzierung des Gesundheitssystems vor 2000 aus?
Die Vergütung der Krankenhäuser war in dieser Zeit sehr leicht nachzuvollziehen: Für jeden Tag eines Patienten im Krankenhaus haben wir als Krankenkasse einen Betrag X überwiesen. Das führte dazu, dass manche Krankenhäuser aus wirtschaftlichem Interesse Patienten so lange behandelt haben, wie es nur ging und medizinisch noch vertretbar war. Wenn ein Patient eigentlich schon freitags hätte gehen können, hat man ihn gerne noch bis Montag behalten. Natürlich stellte auch unser medizinscher Dienst immer wieder fest, dass ein etwas längerer Aufenthalt durchaus berechtigt war. Doch es wurde ein Fehlanreiz sichtbar: Ein belegtes Bett so lang wie möglich zu behalten, bedeutete Geld!
Hinzu kommt: Damals wie heute sind Sie als Krankenkasse für die Betriebskosten zuständig, Investitionen in Bausubstanz und Geräte übernehmen die Bundesländer. Das klappt auch nicht …
Die Länder sind für die Krankenhausplanung verantwortlich, sie müssen also auch die Investitionen in Gebäude und Technologie gewährleisten. Die Kassen bezahlen Betriebskosten, also Ärzte, Pflege und die Ernährung der Menschen sowie das verwendete Material. Das große Problem ist in diesem Zusammenhang: Die Länder fahren ihre Investitionen seit Jahren zurück, da sie selbst an Geldmangel leiden.
Gehen wir ein Schritt weiter: Nach 2000 kam die große Finanzierungsreform, die das Gesundheitswesen von Tagespauschalen auf Fallpauschalen umgestellt hat. Englisch: „Diagnosis Related Groups“ (DRGs). Was wollte die Politik damit erreichen?
Die langen Liegezeiten wurden als Problem erkannt. Und die Konsequenz war: Es sollte nicht mehr jeder Tag bezahlt werden. Denn ein Patient mit einer Blinddarm-Diagnose hat im Durchschnitt eine Verweildauer von etwa fünf Tagen. Dafür wird eine Pauschale kalkuliert, die ungefähr fünf Tagen im Krankenhaus entspricht. Es gibt also für jede Diagnose einen fixen Betrag. Ist ein Krankenhaus in der Lage, die Behandlung rasch durchzuführen, wird das Bett schneller frei – und der nächste Patient kann kommen, für den wieder eine Pauschale abgerechnet wird. Auf diese Weise verschob sich der ökonomische Anreiz von der Zahl der Tage auf die Menge der Patienten. Wirtschaftlich wurde es für ein Krankenhaus interessant, wenn es immer schneller neue Patienten behandelte.
Gab es nicht einen weiteren Fehlanreiz? Es wurde für Krankenhäuser lukrativ, viele Ärzte für Operationen einzustellen und die Pflege finanziell zu vernachlässigen, weil sie zum Umsatz aus den Fallpauschalen weniger beiträgt. War das so – oder ist das eine überspitzte Sichtweise?
Es wäre vermessen zu behaupten, dass diese Aussage auf alle Krankenhäuser zutrifft. Wir haben aber Anhaltspunkte, dass das in einzelnen Krankenhäusern der Fall sein könnte. Egal ob privat oder öffentlich organisiert – Krankenhäuser sind immer auch Wirtschaftsunternehmen. Am Ende müssen die Finanzverantwortlichen auf den Haushaltsplan schauen und abrechnen. Ich halte es für nachvollziehbar, dass Verantwortliche für ein Haus auf solche Idee kommen könnten.
Die Anreizstruktur der Fallpauschalen ist in die Kritik geraten. So kommt jetzt die nächste Reform, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sagt: „Wir haben die Ökonomie zu weit getrieben.“ Wie schätzen Sie diesen Satz ein? Können Sie sich damit anfreunden?
Im Prinzip ja. Ich kann mich mit dieser Aussage anfreunden, weil sie bei vielen Aspekten des Gesundheitssystems stimmt. Vor den Fallpauschalen war es die Zahl der Tagessätze, die einen wirtschaftlichen Aspekt hatten. Bei den Fallpauschalen hatten wir die Menge der Eingriffe, wieder ein wirtschaftlicher Aspekt. Zu kurz kam die Frage: Wie sieht eigentlich die gesundheitliche Grundversorgung der Bevölkerung aus?
Natürlich gilt: Wenn ein Bürger ein Kniegelenk braucht, dann soll er es auch bekommen. Aber nur, wenn er es tatsächlich nötig hat. Wir müssen einen Weg finden, die Finanzierung am wirklichen Bedarf zu orientieren. Gleichzeitig dürfen wir die Versorgung im Notfall nicht aus den Augen verlieren. Jeder Mensch mit einem schweren Unfall wünscht sich, dass eine Intensivstation in der Nähe ist, und er entsprechend medizinisch versorgt wird.
Die geplante Reform ist erst in Eckpunkten bekannt. Was sich aber schon abzeichnet, ist ein neuer Begriff, die „Vorhaltepauschale“. Was wird es damit auf sich haben?
Um genaues zu sagen, wäre ein Blick in die Gesetzentwürfe nötig, die gerade geschrieben werden. Als Grundprinzip wird aber schon die Idee deutlich: Wenn es keine Tagessätze und Fallpauschalen mehr sein sollen, dann brauchen wir eine Grundfinanzierung pro Haus, die unabhängig von der Belegung ist. Ein Krankenhaus stellt in einer Region die Versorgung sicher, und für diese Leistung erhält es Geld – als Vorhaltepauschale. Egal, ob Betten belegt sind oder nicht.
Damit soll der Fehlanreiz entfallen, möglichst viele Patienten durch die Stationen zu schleusen. Angedacht ist ein großer Betrag, etwa 40 Prozent der bisherigen Fallpauschalen.
Ja, da werden richtig Euros gedreht. Aber die Vorhaltepauschale funktioniert nur im Zusammenspiel mit einzelnen Leistungsgruppen. Die Fragen lauten: Welche spezialisierten Operationen wird ein Haus in Zukunft anbieten? Welche Fachabteilungen wird es noch haben? Dazu werden Fallgruppen gebildet, und in Zukunft wird auch nicht jedes Krankenhaus jede Leistung anbieten.
Das führt zu der Frage, wie ein weiterer Teil der Reform aussehen soll. Es geht um Krankenhäuser auf dem „Level“ 1, 2 oder 3. Was ist darunter zu verstehen?
Diese Idee ist recht einfach: Bei den Krankenhäusern soll eine Spezialisierung zu Gunsten der Qualität stattfinden. Wenn Häuser bestimmte Eingriffe häufig unternehmen, lässt sich davon ausgehen, dass sie in diesem Bereich eine hohe Qualität aufweisen.
Das Universitätsklinikum Heidelberg versteht sich zum Beispiel als Anbieter von „Hochleistungsmedizin“.
Für eine normale Blinddarm-OP braucht es keine Hochleistungsmedizin. Nötig sind ein hochwertiger OP-Saal und Personal mit den notwendigen Kompetenzen. Die Transplantation eines Herzens oder einer Lunge würde einen ganz anderen Aufwand bedeuten. Die Reform sagt jetzt: Wir bekommen eine absolute Spitze – die Häuser mit Hochleistungsmedizin, was „Level 3“ entspricht. Es gibt ein Mittelfeld von Häusern, die ein breites Angebot an medizinischen Leistungen haben. Das wäre „Level 2“. Und als Basis haben wir auf „Level 1“ die Grundversorger.
Es ist ja schon heute so, dass Patienten genau schauen, welches Krankenhaus tatsächlich einen großen Erfahrungsschatz im betreffenden Bereich oder mit einer bestimmten OP hat. Im Grunde ist die angedachte Reform ein Schritt in die Richtung, die die Patienten in vielen Fällen sowieso eingeschlagen haben.
Wie sieht das bei einer Transplantation des Herzens aus?
Sie erfolgt auf „Level 3“ im Rahmen der Hochleistungsmedizin. Doch für das Ausheilen wird der Patient jetzt wohnortnah verlegt, und zwar in ein Haus mit geringerem Level. Gerade die Häuser auf „Level 1“ werden spezialisiert auf Pflege sein und den Übergang zur Rehabilitation vorbereiten. Heute findet alles in einem Haus statt – und das wird sich ändern. Für den Patienten hat das den Vorteil, dass die hochkomplexe OP in einem auf diese Fälle spezialisierten Haus erfolgt, die pflegerische Betreuung dann nahe bei den Angehörigen. Besuche beim Patienten sind dann viel leichter zu organisieren.
Interview: Ingo Leipner; Bild: Manfred Rinderspacher