3D-Druck: Ein Besuch in der Zukunft: 54 Meter wird es lang sein, elf Meter tief und neun Meter hoch – das größte 3D-gedruckte Gebäude in Europa. Es entsteht in Heidelberg, Campbell. Mieter wird das Unternehmen HeidelbergiT sein, das im Gebäude ein erverhotel einrichten will. Von Ingo Leipner

Stein auf Stein, Stein auf Stein“, so heißt es in einem bekannten Kinderlied. Und weiter: „Das Häuschen wird bald fertig sein.“ Vielleicht werden künftige Generationen diesen Liedtext nicht mehr verstehen, so wie die Generation Z heute nichts mehr mit dem Konzept „Wählscheibe“ anfangen kann. Der 3D-Druck revolutioniert die Bauwirtschaft.
„Wir erleben eine steigende Nachfrage nach Rechenzentrumskapazität und Cloud-Infrastruktur“, sagte Matthias Blatz, Geschäftsführer der Heidelberg iT. Daher lag es nahe, ein Serverhotel in innovativer 3D-Druck-Technik zu errichten, und zwar auf der Gewerbefläche in der Heidelberger Südstadt. „Wir sind sehr stolz, dass unser Serverhotel im größten 3D-gedruckten Gebäude Europas entsteht“, so der Unternehmer. Es ist das vierte kommerzielle Rechenzentrum am Standort Heidelberg.
Oberbürgermeister Eckart Würzner hat schon weitere Pläne: Der 3D-Druck könnte genutzt werden, um Wohngebäude zu bauen. Etwa bei den Neubauten, die im Stadtteil “Patrick-Henry-Village” entstehen sollen. Außerdem verwies der Oberbürgermeister auf die Möglichkeit, die Dämmung bereits beim Druck vorzusehen. Es ließen sich Hohlräume vorbereiten, die im nächsten Schritt mit Dämmmaterial gefüllt werden.

Solche Hohlräume ließen sich auch auf der Baustelle beobachten, wo das neue Serverhotel Schicht um Schicht in die Höhe wächst. Nur zwei bis drei Mitarbeiter sind nötig, um diesen Prozess zu steuern. Das Gebäude existiert zuerst als 3D-Modell im Computer. Diese Daten geben dem Düsen-Mechanismus vor, wo der zähflüssige Beton aufzutragen ist. Der Druckkopf bewegt sich so in drei Raumrichtungen, wozu ein kleiner Brückenkran über der Baustelle hin-und herfährt, um die Düse exakt zu positionieren. So trägt sie immer mehr Zement auf – in der Form einer scheinbar unendlichen “Schlange”, die sich auf die vorher applizierten Zementschichten legt. Dabei entstehen zwei Wände, zwischen ihnen ein Hohlraum, wie ihn Würzner angesprochen hat.
Mit einem Unterschied: In einem weiteren Arbeitsschritt wird dieser Hohlraum ebenfalls mit Zement aufgefüllt. Eigentlich derselbe Vorgang wie auf einer konventionellen Baustelle, wenn erst eine Holzverschalung errichtet wird, um flüssigen Beton zwischen das Holz zu gießen. Stellt sich die Frage: Wie viel Zement ist zusätzlich nötig, wenn die zwei gedruckten Mauern hochgezogen sind?
Heidelberg Materials antwortet: “Die Wellenform des Gebäudes lässt hier keine pauschale Aussage zum prozentualen Anteil zu, da es Stellen gibt, die etwas mehr verfüllt sind und Stellen, die keinerlei Verfüllung aufweisen. Gerade bei Innenwänden wird hier meistens darauf verzichtet.” Das Unternehmen verweist auf die “Charakteristik des Gebäudes”, die durch den 3D-Druck entsteht. Die Festigkeit sei durch eine Skelettbauweise gegeben – “auch ohne Verfüllung”. Weiter heißt es: “Die Verfüllung ist zu Isolationszwecken, und das Material hierfür variiert je nach Bedarf.”
Der Andruck des Gebäudes hatte bereits am 31. März begonnen, und es soll voraussichtlich bis Ende Juli 2023 fertig sein. Mitten in der Bauphase wurde im April das Projekt zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt, auf einem Baugerüst konnten Journalisten Einblicke in das ungewöhnliche Geschehen nehmen. Wenn im Juli alles fertig ist, fängt der Innenausbau für das Colocation-Rechenzentrum an, das der künftige Mieter HeidelbergiT betreiben wird.

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3D-Druck im Zeitraffer: Hier ist ein Video im Zeitraffer zu sehen, das den bisherigen Verlauf des 3D-Druck dokumentiert.

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Geschäftsführer Blatz zeigte sich beeindruckt von der Nachhaltigkeit des 3D-Gebäudes: Der eingesetzte 3D-Druckbeton ist zu 100 Prozent recyclebar, er enthält ein Bindemittel, das den Ausstoß von CO2 um rund 55 Prozent reduziert, verglichen mit reinem Portlandzement. Die wellenartige Struktur der Wände hat ein Zufallsalgorithmus entworfen, was zu einer Ersparnis beim Material von 25 Prozent führt. Experten sprechen von einem “parametrischen Design”. Selbst die US-amerikanische Raumfahrtbehörde NASA plant, in wenigen Jahren 3D-Druck-Gebäude auf dem Mond zu errichten.
Auf dem Mond gibt es keine dichte Atmosphäre wie auf der Erde. Das hat zur Folge, dass sich dort der zähflüssige Zement explosionsartig im Vakuum verteilen würde. Ganz anders liegt der Fall in Heidelberg: Der Druckkopf fügt den Baustoff als neue Schicht regelmäßig hinzu – und langsam wächst das Gebäude in die Höhe. Auf dem Mond dagegen ist das eine gewaltige Herausforderung, wie Dr. Martin Neumann erläutert. Doch global würden einige Unternehmen an Lösungen arbeiten, um 3D-gedruckte Häuser im Weltall möglich zu machen. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg – und die Steine aus dem Kinderlied werden doch nicht so schnell in Vergessenheit geraten.

Bild: Aleksej Keksel; Illustration: SSV Architekten