Kein Mensch kann wissen, wie in 100 Jahren Mobilität funktioniert. Wir dürfen aber spekulieren – und dazu sprachen wir mit Prof. Dr. Michael Schröder (DHBW), der klar sagt: Statt weitere Autobahnen zu bauen, sollten wir unser Verhalten ändern.

INTERVIEW: INGO LEIPNER

Manche Ideen wirken wie Science-Fiction: Hyperloop, Lufttaxis oder Drohnen, die Pakete ausliefern. Doch diese Entwicklungen laufen! Wie schätzen Sie diese Technologien ein, die unsere Mobilität verändern können?
Der Mensch hat immer alles gemacht, was er einmal gedacht hat. Wenn wir beide 1924 hier sitzen würden, hätten wir keine Ahnung, wie stark bis 2024 der kommerzialisierte Tourismus den Luftverkehr verändern wird. Was heute alles in der Luft ist, war damals unvorstellbar. Daher sollten wir nicht über spektakuläre Ideen lächeln … das wird alles kommen.
Fangen wir mit Flugtaxen an: Die Chinesen treiben in einigen Projekten diese Technik voran, auch die Deutschen sind u. a. mit der Firma Volocopter aus Bruchsal dabei – und diese Technologie wird bald in Betrieb genommen. Aber: die Flugtaxen bleiben ein „Schmankerl“ für Leute, die schnell von A nach B wollen und sich die vermutlich hohen Flugpreise leisten können.

Wir lösen damit nicht die Probleme von Millionen Autofahrern, die sich durch enge Straßenschluchten in den Großstädten quälen. Wie sieht es mit dem Hyperloop aus?
Dieses System basiert auf einer Vakuum-Röhre – von außen der ehrwürdigen Rohrpost nicht unähnlich. Menschen und Güter können mit hoher Geschwindigkeit in Fahrgastzellen durch solche Röhren gejagt werden. Das könnte wohlgemerkt im Fernverkehr eine echte Alternative zum Fliegen sein – aber nicht für Innenstädte. Der Hyperloop steht auf Stelzen und stört niemanden am Boden. Es gibt aber auch die Gegenrechnung: Im Flugzeug sind je nach Flug vielleicht 250 Passagiere unterwegs, diese Zahl müsste auch der Hyperloop pro vergleichbarer Zeiteinheit befördern, um kapazitativ wettbewerbsfähig zu sein. Und: Am Ende der Strecke müssen Bahnhöfe stehen, adaptiert für den Hyperloop, um einen eleganten Umstieg auf andere Verkehrsmittel möglich zu machen.


Prof. Dr. Michael Schröder (DHBW)

Welche Chancen sehen Sie für Flugdrohnen, die Päckchen ausliefern?
Wir haben in Deutschland eines der strengsten Luftsicherheitsgesetze weltweit. Zwar scheint die Idee toll zu sein: Eine Drohne landet in meinem Garten und bringt mir mein Päckchen. Aber das bebaute Gebiet wird zum Problem. In einfachen Worten: Der Überflug über größere Menschenansammlungen ist noch streng reguliert – übrigens nicht nur wegen der Gefahr des Herunterfallens, sondern auch aus Datenschutzgründen. Das kann sich aber selbstverständlich ändern, sobald andere Länder sukzessive Freigaben erteilen.

Die Seilbahn auf der BUGA war ein großer Hit. Wären solche Systeme auch eine Lösung für Verkehrsprobleme in den Innenstädten? Etwa für die Strecke Paradeplatz-Ludwigshafen?
Vorab: Damit solche Szenarien funktionieren, brauchen wir immer eine Möglichkeit zu „Park & Ride“. Die entscheidende Frage bezüglich Seilbahn beispielsweise am Paradeplatz lautet aber: Wer steigt in Ludwigshafen ein oder aus? Und was soll ein Passagier aus Ludwigshafen am Paradeplatz wollen?
„Park & Ride“ ist immer sinnvoll, wenn wir unser Auto in der Peripherie abstellen, um mit anderen Personen per ÖPNV als Shuttle-Service in die Innenstadt zu fahren oder aus dieser heraus. Außerdem stelle ich mir immer die Frage, was ist wohin zu transportieren? Ich bin aus Ludwigshafen und habe das Brückenthema leider täglich vor Augen. Ich habe auch schon über eine Seilbahn nachgedacht.

Und eine Fähre statt Stau … wie realistisch ist so eine Lösung für tausende Berufspendler?
Gar nicht, weil ich mit dem Boot im Mannheimer Lindenhof anlanden würde – in einem Wohngebiet mit engen Straßen.

Gibt es für Seilbahnen eine vernünftige Einsatzmöglichkeit?
Ein Beispiel sind Großstädte in Südamerika: Da versorgen Seilbahnen Stadtteile an steilen Hängen – in Chile, in Kolumbien oder in Bolivien. Diese baut übrigens das österreichische Unternehmen Doppelmayr, das auch die Seilbahn auf der BUGA errichtet hat. Eine interessante Spielerei, die ich wie tausende anderer Besucher sehr genossen habe.
Doch für ein Strecke Mannheim nach Ludwigshafen fehlt mir die Phantasie. Da müsste weit außerhalb, etwa in Oggersheim, ein großer Parkplatz entstehen. Die Passagiere lassen dort ihre Pkw einfach stehen – und fahren mit der Seilbahn nach Mannheim? Wo steigen sie dann aus? Selbst wenn sie im Stadtteil Fahrlach bei Siemens arbeiten, wäre der Paradeplatz keine praktikable Endstation.

Würde ein solches Projekt nicht schlicht auf Kapazitätsprobleme stoßen?
Wenn ich an den Besetzungsgrad von Pkw in Deutschland denke, der bei knapp 1,3 Personen liegt, wären Seilbahnkabinen mit zwei bis vier Personen schon ein gewisser Fortschritt – auch im Vergleich zu mir, der immer alleine im Auto sitzt Aber das sind Rechenspielchen.

Es gibt aber noch weitere Probleme.
Ja, es könnten erstens Klagen geben, weil sich Menschen in ihrer Privatsphäre gestört fühlen, wenn an ihren Fenstern eine Seilbahn vorbeigleitet. Zweites ist der Schlagschatten ein Problem: Wenn im Sommer die Sonne scheint, fällt ein Schatten ins Wohnzimmer, wenn die Kabine kurz vor dem Fenster auftaucht – ein Problem, das von Windkrafträdern bekannt ist.

Die dritte Rheinquerung bei Altrip ist schon seit „Jahrhunderten“ ein Thema der Verkehrsplanung. Könnte da nicht eine Seilbahn über den Fluss sinnvoll sein?
Von Altrip zum Großkraftwerk (GKM) in Neckarau – da wäre eine Autobrücke oder ein Autotunnel sehr wünschenswert. Wer zur Autobahn will, quert einfach dort den Rhein und würde am GKM nach Süden oder Norden abbiegen. Aber mit einer Seilbahn über den Fluss? Das würde wieder bedeuten, mein Auto in Altrip stehen zu lassen, und auf der anderen Seite muss es wieder weitergehen. Ein wichtiger Punkt kommt übrigens dazu: Eine Brücke bei Altrip könnte Menschen dazu animieren, in die Pfalz ziehen. Man spricht von der Gefahr der Entleerung einer Region durch neue Verkehrsinfrastruktur. Dann leert sich auf einmal Mannheim, was die Gemeindepolitik selbstverständlich nicht wirklich anstrebt. Auf jeden Fall wäre eine weitere Zersiedelung mit versiegelten Böden die Konsequenz, was zeigt: Verkehrsplanung ist ein hochkomplexer Prozess!

Wer auf der Autobahn unterwegs ist, kennt Elefanten-Rennen oder verstopfte Parkplätze voller Lkw. Da sind ganze schnell die Brummifahrer an allem schuld, was schief geht. Sie sehen das aber ganz anders, oder?
Wenn wir die schiere Zahl der Fahrzeuge an einer Referenzstelle auf einer Autobahn zählen würden, kommen wir auf ein Verhältnis von 85 Pkw zu 15 Lkw. Das ist einfach so, auch wenn die Größe der Lkw etwas anderes suggeriert. Zudem sind Unfälle mit Lkw leider oft spektakulär, oft einen Bericht in der Tagesschau wert. Daher schimpfen wir, sobald wir rechts auf der A6 die lange Lkw-Schlange sehen. Das sind aber alles Randerscheinungen, den – etwas unsauber ausgesprochen – obilgatorischen Stau verursachen wir selbst als Pkw-Nutzer.

Wie entsteht eigentlich eine solcher Stau aus dem Nichts?
Der Stau aus dem Nichts, der Stau, in dem wir stehen, obwohl er schon Stunden vorbei ist … Diesen Stau verursachen in der Regel Pkw – durch Überhol-, Beschleunigungs- und Abbremsmanöver. Dazu gibt es ganze Forschungsrichtungen. Es ist ähnlich wie bei einem Gartenschlauch: Das meiste Wasser kommt heraus, wenn je Zeiteinheit eine einheitliche Flussgeschwindigkeit eingehalten wird. So ist das auch bei einer Infrastruktur für den Verkehr: Bei derselben Geschwindigkeit haben wir den größten Durchsatz, etwa in einer Stunde. Wir hätten also tatsächlich keinerlei Stau, wenn sowohl die Pkw als auch Lkw je Fahrspur mit derselben Geschwindigkeit unterwegs sind. Vorausgesetzt, es gibt keinen Unfall auf der Strecke.

Vor ein paar Jahren habe ich ein Interview mit dem Raumplaner Prof. Hans-Henning von Winning gemacht. Er hatte eine radikale Idee, den „konkurrenzlosen Straßenverkehr“: Tempolimit und Überholverbot auf der Autobahn. Was halten Sie von diesem Konzept?
Bei meinen Studierenden mache ich mich wahrscheinlich immer zunächst unbeliebt, wenn ich sage, dass ich für ein Tempolimit bin. Aber: Es könnten auch 200 km/h sein, Hauptsache eine einheitliche Geschwindigkeit wird vorgeschrieben. Doch schon aus Fragen der Sicherheit bleibt das so lange eine exotische Idee, bis das autonome Fahren in einem Jahrzehnt etabliert ist und den Risikofaktor Mensch beim Fahren aus dem Spiel nimmt.

Die Lösung wäre es also, alle mit 200 km/h fahren zu lassen? Wirklich?
Theoretisch schon, wie es das Beispiel mit dem Gartenschlauch gezeigt hat. Hinzu käme das autonome Fahren mit einer Koppelung der Fahrzeuge, die dadurch nur einen minimalen Abstand einhalten müssten, alles bei derselben Geschwindigkeit. Ein Überholverbot wäre nicht nötig, weil auf jeder einzelnen Spur mit einer konstanten Geschwindigkeit gefahren wird. So richtig neu sind solche Ideen aber nicht, nur sind Technik und vor allem auch die Juristen noch nicht so weit.

Das bedeutet: Exotische Technologie könnte in ein paar Jahren marktreif sein. Aber unser Verhalten zu verändern, würde heute bereits Erfolge bringen – ohne massiven Autobahnausbau. Ein Beispiel wäre ein Tempo-Limit von 120 km/h auf Autobahnen. Es würde dazu beitragen, 6,7 Millionen Tonnen CO2 einzusparen. Das hat das Bundesumweltamt ausgerechnet.
Dies sind jedoch – auch wenn es vielen Aktivisten nicht gefällt – weniger als ein Prozent aller deutschen CO2-Emissionen (674 Millionen Tonnen) in 2023. Und nur 20 Prozent der täglichen (!) CO2-Emissionen in China. Es geht hier nicht um Nachhaltigkeit, dafür sind wir mit 83 Millionen Einwohnern zu klein. Es geht vielmehr um ein neues Verständnis von Mobilität, das sich auch in von Winnings Konzept spiegelt: „konkurrenzloser Straßenverkehr“. Ein neues „Mindset“ ist dringend nötig, um Kooperation im Straßenverkehr an die Stelle egoistischer Raserei zu setzen. Es ist aber politisch sehr riskant, weil eine solche Forderung die deutsche Vorstellung von Freiheit angreift. Sie lautet noch immer „Freie Fahrt für freie Bürger“. Viele glauben an diese angebliche Freiheit, im Auto tun und lassen zu können, was sie wollen. Wer diese Illusion zerstört, verliert Millionen Wähler bei der nächsten Wahl.

Bilder: Franziska Mayer/adobe firefly; Privat; Techtility Design/adobestock