Wer bis zu 48 Stunden um eine IT-Lösung kämpft, geht über die volle Distanz eines geistigen Marathons. Solche Herausforderungen für Teams gestaltet Oliver Brümmer von der The Hackathon Company GmbH. Im Gespräch erklärt er, wie ein Hackathon abläuft, warum es HerHackathons gibt, und wieso das alles auch immer „Recruiting Events“ sind.

Interview: Ingo Leipner

Was ist eigentlich ein Hackathon?
Es ist eine Veranstaltung, an deren Ende digitale Produkte stehen. Dazu treffen sich MitmacherInnen aus ganz unterschiedlichen Ecken des Lebens. Das Format ist sehr bunt, weil die TeilnehmerInnen verschiedene Hintergründe haben. Das können InformatikerInnen, aber auch Menschen aus ganz anderen Bereichen wie Design oder Betriebswirtschaftslehre sein. Sie können aber auch Philosophie studiert haben – wichtig sind die unterschiedlichen Perspektiven in den einzelnen Teams. Sie fließen in einem gemeinsamen IT-Produkt zusammen, das in 24 oder 48 Stunden zu erarbeiten ist.
Diese Teams verteilen sich über den ganzen Saal an Arbeitsinseln, alle gebeugt über ihre Laptops?
Ja, genauso sieht ein Hackathon aus. Die Leute arbeiten mit Laptops oder vor Metplan-Wänden, um Post-its zu kleben. So wollen sie zu ihrer Lösung kommen. Und das alles unter Zeitdruck, weshalb wir dieses Verfahren gerne „Schnellkochtopf“ nennen. Im Gegensatz zur Projektarbeit läuft alles sehr „zeitkondensiert“ ab. Da zeigen sich schon nach 48 Stunden sehr gute Ergebnisse, die es auf diese Weise in großen Organisationen nicht gegeben hätte.


Hackathon

Das ist ein Kunstwort aus den Bestandteilen „Hack“ und „Marathon“. In einem Wettkampf auf Zeit liefern sich die TeilnehmerInnen einen „Wettlauf“, um die beste Lösung für ein IT-Problem zu finden. Der Wortteil „Hack“ steht dabei nicht für das Eindringen in fremde Computersysteme, sondern für das Programmieren eines geeigneten Algorithmus.


 

Was motiviert die TeilnehmerInnen?
Wir hören von ihnen oft, dass sie bei einem Hackathon sehr viel lernen. Denn zum einen begegnen ihnen neue Menschen mit interessantem Background, zum anderen gibt es neue IT-Sprachen zu erlernen, und zwar im Bereich des Software-Engineering. Wir bieten ebenso Möglichkeiten, sich fachlich zu entwickeln, etwa durch Master-Classes oder Workshops. Daher lautet unser Credo: Jeder der zu Hackathons kommt, soll am Ende smarter nach Hause gehen.

Sie nennen Ihren Hackathon auch „Recruiting Event“. Was verbirgt sich dahinter?
Die beteiligten Unternehmen lernen nicht nur die fachlichen Kompetenzen der TeilnehmerInnen kennen, sondern auch deren „Soft Skills“, also ihre Arbeitsweise im Team. Das ist ähnlich wie bei einem klassischen Assessment-Center, bei dem ein Bewerber einen Tag lang aus unterschiedlichen Perspektiven beobachtet wird. So stellt diese Situation für Unternehmen und TeilnehmerInnen eine gute Gelegenheit dar, sich intensiv kennen zu lernen.

Ihre Teams setzen sich an einem solchen Hackathon sehr unterschiedlich zusammen. Manche Teams kennen sich schon vorher, manche Teams bilden sich spontan bei der Veranstaltung. Führt das nicht zu Wettbewerbsverzerrungen?
Es gibt Vor- und Nachteile bei beiden Formen der Teambildung: Die eingespielten Teams sind vieler schneller startfähig, weil die Kompetenzen der einzelnen Mitglieder bekannt sind, und die Aufgaben schneller verteilt werden. Auf der anderen Seite ist diese Gruppe beschränkt auf die Fähigkeiten, die in diesem Team vorherrschen. Neue Teams können sich sehr bewusst die Kompetenzen auf dem Hackathon heraussuchen, die der Gruppe noch fehlen.
Wenn dann die TeilnehmerInnen über die nötigen Kompetenzen sprechen, ergeben sich manchmal völlig neue Perspektiven, die im Wettbewerb wertvoll sind. Wir haben schon beides erlebt: Teams aus Freunden, die durch ihre Schnelligkeit erfolgreich waren. Und: Teams aus wildfremden Menschen, die großartige Ideen auf dem Hackathon präsentierten und danach weiter zusammengearbeitet haben.


Oliver Brümmer

Der Unternehmer hat die The Hackathon Company GmbH gegründet, die ihren Sitz im Mafinex hat, dem Mannheimer Technologiezentrum. Brümmer ist auch CEO dieser Firma, die Hackathons auf die Beine stellt.


 

Bis hin zur Gründung von Firmen?
Ja, da entstehen menschliche Beziehungen, die letztlich zur Gründung von Start-ups geführt haben.
Sie bieten auch HerHackathons allein für Frauen an. Ist das heute überhaupt noch nötig bei den jungen Leuten?
Absolut. Für uns ist das eines der erfolgreichsten Formate. Erfolg bedeutet: gute Stimmung vor Ort. Die Frauen halten zusammen, sie unterstützen sich sehr stark – viel stärker, als das bei heterogenen Formaten der Fall ist. Wir haben unzählige Bewerberinnen, die Jahr für Jahr wiederkommen.

Warum ein solcher Schutzraum vor Männern?
Kein Schutzraum vor Männern, sondern ein Schutzraum für Frauen! Gleichgesinnte treffen sich, sie haben ähnliche Erfahrungen in einem Beruf, der immer noch männlich dominiert ist. Darüber können sie sich austauschen.

Kommen wir noch zum Ablauf eines Hackathons. Das Stichwort „Gamification“ spielt eine große Rolle, oder?
„Gamification“ ist ein wichtiges Element bei allen Veranstaltungen. Der Spaß darf nicht zu kurz kommen, und es muss ein gewisser Wettbewerb stattfinden. Bei einem Hackathon treten Teams gegeneinander an, um am Ende einen Preis zu gewinnen. Es gibt nicht nur eine Entscheidung. Denn: Wir haben Unternehmen als Sponsoren dabei, die drei bis vier Teams zu einer Challenge auffordern. Wer diese Challenge gewinnt, entscheidet das Unternehmen – und schickt das erfolgreichste Team in die Endausscheidung. Diesen Pitch bestreiten am Ende die Teams, die bei ihrer Firmen-Challenges erfolgreich waren. Eine unabhängige Jury entscheidet am Schluss, wer auf die ersten drei Plätze kommt. Es locken Sach- und Geldpreise.

Ihr Hackathon im September steht unter dem Motto: „Dekarbonisierung der Welt“. Damit kann aber nur die technische Seite des Problems gemeint sein?
Ja, es geht bei der Veranstaltung um die Frage: Was kann Technologie mit ihren Daten beitragen, die Dekarbonisierung der Welt voranzutreiben? Unter diesem Motto überlegen die Sponsoren, welche Fragen sie für den Hackathon aufwerfen wollen.

Suchen die beste Lösung für ein IT-Problem: Informatikerinnen beim HerHackathon.

Fehlt da aber nicht die Frage der Verhaltensänderung? Neben Effizienz sollte immer auch die Idee der Suffizienz treten.
Suffizienz ist ein gutes Stichwort: Wir haben als Menschheit bereits viele Daten aus den Meeren, dem Land und der Luft. Bleibt aber die Aufgabe, diese Daten zu verarbeiten und zusammenzuführen – und zwar in einer Visualisierung, die Menschen verstehen und die bei ihnen eine Verhaltensänderung bewirkt. Genau dazu kann Technologie und ihre Unzahl von Daten einen Beitrag leisten, weil sie uns auf Missstände aufmerksam macht.

Haben Sie ein konkretes Beispiel?
In Mannheim gibt es sMArtMannheim. Diese Organisation hat an verschiedenen Stellen Sensoren aufgestellt, die den Effekt versiegelter Flächen messen, zum Beispiel auf dem alten Messplatz im Vergleich zu einer Messstation am Herzogenriedpark. Wenn Sie in einer heißen Sommernacht den Rückgang der Temperatur beobachten, werden Sie auf dem Alten Messplatz kaum etwas merken, weil die Luft über der Fläche steht. Doch in einer grünen Lunge wie dem Herzogenriedpark sinkt die Temperatur deutlich. Solche Sachverhalte wollen wir vielen Menschen vermitteln, um letztlich durch Daten auch Verhaltensänderungen herbeizuführen.


Hackathon zur Dekarbonisierung

Einer der größten Hackathons der Welt findet in Mannheim statt. Er bietet ein umfangreiches Programm für Familien, Challenges für Tech-Interessierte und vielfältige Möglichkeiten, als Unternehmen dabei zu sein. Vom 6. bis 8. September veranstaltet die The Hackathon Company GmbH dieses Hackfestival 2024 – unter dem Motto „Dekarbonisierung des Planeten“. Auf mehr als 20 000 Quadratmetern Fläche im Rosengarten Mannheim, mit über 1000 TeilnehmerInnen, einem ESA-Astronauten und über 50 Partnern. Sechs Coding-Challenges und ein breites Mitmachangebot sollen helfen, die Welt nachhaltiger zu gestalten. Der Hackathon erstreckt sich über einen Zeitraum von 48 Stunden. Die (firmenspezifischen) Aufgaben stellen namhafte Unternehmen wie SAP, Schwarz IT, KION Group und Roche sowie die Stadt Mannheim gemeinsam mit der Metropolregion Rhein-Neckar. Die TeilnehmerInnen können ihr technisches Know-how u.a. bei Themen wie Recycling, Reduzierung von Lebensmittelabfällen, Kreislaufwirtschaft und Tracking des eigenen CO2-Fußabdrucks unter Beweis stellen und neue Lösungen erarbeiten.

 

Bilder: The Hackathon Company GmbH