Die Öffentlichkeit diskutiert aufgeregt, was bald passiert, wenn das Erdgas knapp wird. So kursieren sogar Duschtipps von Politikern. Wie ernst die Lage ist, hat econo von der BASF erfahren. Wie bereitet sich das Ludwigshafener Unternehmen auf Herbst und Winter vor? VON INGO LEIPNER

Oft wird in der Zeitung das Saarland genannt, um abstrakte Flächenangaben anschaulich zu machen. Da heißt es: Eine Fläche halb so groß wie dieses Bundesland fiel den Waldbränden zum Opfer. Die Methode lässt sich vielseitig anwenden, so auch beim Erdgasverbrauch der BASF. 2021 betrug er am Standort Ludwigshafen 37 TWh; die eine Hälfte fiel bei der Strom- und Dampferzeugung an, die andere Hälfte wurde als Rohstoff gebraucht. Anschaulich? Wohl kaum, es sei denn wir greifen zu einem geografischen Vergleich. Und der ist eindrucksvoll: 2021 hat die BASF in Ludwigshafen etwa so viel Gas verbraucht – wie die gesamte Schweiz!

Warum ist Erdgas als Grundlage der Produktion so unverzichtbar? Die BASF teilt mit: „Die Wertschöpfungsketten in der chemischen Industrie starten mit den kleinsten Molekülen. Vereinfacht kann man sagen, Moleküle sind die Bausteine der Chemie.” Die Wertschöpfung findet über mehrere Stufen statt, die kleinsten Bausteine werden zu immer größeren Einheiten zusammengesetzt. Da Erdgas zu einem großen Teil aus Methan besteht, wurde es für die Chemie-Industrie zu einem zentralen Rohstoff. Denn: Methan ist ein sehr reaktives Molekül, das aus zwei wichtigen Atomen aufgebaut ist: Kohlenstoff und Wasserstoff. Daher basieren sehr viele chemische Produkte auf diesem Baustein.

Wie sehen solche Produktlinien aus, die auf Erdgas beruhen? Ammoniak und Acetylen sind Grundstoff, die als Rohstoff Erdgas nötig haben. Auch ein Teil des Bedarfs an Wasserstoff wird so gedeckt, ebenso werden Synthesegase aus Erdgas gewonnen.
Acetylen: Dieser Ausgangsstoff steckt in unzähligen Erzeugnissen des täglichen Lebens. Die BASF listet auf: „Arzneimittel, Textilfasern, Sportbekleidung, Polster von Autositzen, Körperpflegeprodukte, Klebstoffe, Elektroartikel und Geschirrspülmittel.” Und das ist nur eine kleine Auswahl der Produkte. Werden die Gaslieferungen gedrosselt, trifft das besonders die Herstellung von Acetylen. „Das wirkt sich direkt auf die Produktion dieses wichtigen und vielseitigen chemischen Bausteins aus.“ Die BASF produziert für die übrige Wirtschaft solche Grundstoffe, unverzichtbar für weitere Wertschöpfungsketten. Fällt diese Produktion aus, drohen gewaltige Kettenreaktionen: „Sollte weniger Acetylen produziert werden können, hat dies negative Auswirkungen auf die nachgelagerten Kunden von BASF in der Automobil-, Pharma-, Bau-, Konsumgüter- und Textilindustrie.” Die Schockwellen würden sich fast in der gesamten Wirtschaft ausbreiten.

Ammoniak: Dieser Ausgangsstoff hat ebenfalls eine hohe Bedeutung für die Wirtschaft. Am Ende der Produktionskette finden sich Leime, Langzeitdünger oder Tiernahrung sowie Sprengstoffe und Lebensmittelzusatzstoffe. Die BASF schreibt: An der Ammoniakproduktion würden auch Polyamide für das Auto hängen. „Ohne Ammoniak gibt es kein Polyamid, ohne Polyamid kein Auto.”

Hat die Energiekrise schon Auswirkungen auf die BASF? Wie die Neue Zurcher Zeitung (NZZ) berichtet, liefen die Geschäfte im ersten Halbjahr 2022 gut: Der Umsatz ist gegenüber derselben Vorjahresperiode um knapp 18 Prozent auf 46 Milliarden Euro gestiegen. Das Unternehmen erwartet für das ganze Jahr einen Umsatz zwischen 86 und 89 Milliarden Euro sowie einen Gewinn von 6,8 bis 7,2 Milliarden Euro (Ebit). Bemerkenswerte Zahlen, weil die BASF im zweiten Quartal 2022 rund 800 Millionen Euro mehr ausgeben musste, um Erdgas für die europäischen Standorte einzukaufen. Der Widerspruch löst sich aber schnell auf, das Stichwort lautet Marktmacht! Nach Corona war die Nachfrage nach BASF-Produkten so groß, dass der Konzern höhere Preise durchsetzen konnte. Man habe die gestiegenen Preise für Rohstoffe und Energie weitgehend weitergeben können, sagte der BASF-Chef Martin Brudermüller, wie die NZZ berichtet. Auch vom starken Dollar habe sein Unternehmen profitiert.

Hinzu kommt: Die BASF bezieht ihr Erdgas von westeuropäischen Lieferanten – und nicht direkt aus Russland. Allerdings enthält das Portfolio dieser Lieferanten auch russisches Gas. Bis jetzt gilt aber (September 2022): Alle Standorte in Europa werden ausreichend mit Erdgas versorgt. „Es gab keine versorgungsbedingten Abstellungen oder Auslastungsreduktionen.” Es findet eine „bedarfsgerechte Belieferung” statt: „Wir haben genau die von uns benötige Menge erhalten.” Nur das hohe Preisniveau beim Erdgas beginnt inzwischen, auch den Chemie-Konzern zu schmerzen.

Seit März 2022 hat die BASF kurzfristige Maßnahmen ergriffen, um durch technische Optimierungen den Gasverbrauch zu senken. Dazu hat sie auch auf alternative Brennstoffe umgestellt. Solche Optimierungen passen die komplexe Verbundstruktur in Ludwigshafen so an, dass der Gasverbrauch in den Anlagen sinkt. Denn zahlreiche Produktionsanlagen sind miteinander verbunden, sie „tauschen chemische Produkte und Nebenprodukte, überschüssige Wärme sowie Abfallströme aus”, wie die BASF mitteilt. Das erfolgt über verschiedene Wertschöpfungsketten. Außerdem ist es in Ludwigshafen möglich, dass Heizöl etwa 15 Prozent des Erdgases ersetzt, das für die Strom- und Dampferzeugung notwendig ist. Ein weiterer Schritt: Der Konzern hat die Produktion von Ammoniak reduziert. Zukäufe ergänzen jetzt die Versorgung mit der Grundchemikalie. Ammoniak lässt sich über den Weltmarkt relativ leicht substituieren – im Gegensatz zu anderen Produkten. Daher gewinnt dieser Grundstoff bei der Risikovorsorge eine entscheidende Bedeutung.
Wenn aber die Gasversorgung wirklich ins Stocken gerät . . ., wann würde die BASF in der Produktion ihre Schmerzgrenze erreichen? Fällt der Standort Ludwigshafen völlig aus? Sollte die Bundesregierung die Notfallstufe für die Gasversorgung beschließen, setzt die BASF ihren „Sonder-Alarmplan Erdgas” in Kraft. Dieser Plan regelt laut NZZ detailliert, „wie auf eine Erdgaskürzung oder Druckschwankungen reagiert würde”. Weitere Maßnahmen könnten sein: Heizöl oder mineralölbasierte Rohstoffe ließen sich in bestimmten Produktionsanlagen als Rohstoff oder Energieträger einsetzen. Zum Beispiel im Kraftwerk Schwarzheide, wo Heizöl Erdgas ersetzen könnte, um Strom und Dampf zu erzeugen. Und es gibt auch eine globale Perspektive: Käme es zu einem Ausfall europäischer Kapazitäten, ließe sich das zum Teil durch Standorte in den USA oder Asien ausgleichen.

Wo liegt aber die Schmerzgrenze? Bei rund 50 Prozent! Der Verbund-Standort in Ludwigshafen hat etwa 200 Produktionsbetriebe. Um sie am Laufen zu halten, ist es nötig, die Anlagen kontinuierlich mit Erdgas zu versorgen. Dafür sind „etwa 50 Prozent unseres maximalen Erdgasbedarfs” notwendig, schreibt die BASF.

Notfallplan für die Gasversorgung

1 Frühwarnstufe: „Es liegen konkrete, ernstzunehmende und zuverlässige Hinweise darauf vor, dass ein Ereignis eintreten kann, welches wahrscheinlich zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage sowie wahrscheinlich zur Auslösung der Alarm- beziehungsweise der Notfallstufe führt.“

2 Alarmstufe: „Es liegt eine Störung der Gasversorgung oder eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas vor, die zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt, der Markt ist aber noch in der Lage, diese Störung oder Nachfrage zu bewältigen, ohne dass nicht marktbasierte Maßnahmen ergriffen werden müssen.“

3 Notfallstufe: „Es liegt eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas, eine erhebliche Störung der Gasversorgung oder eine andere beträchtliche Verschlechterung der Versorgungslage vor“. Weil die Gasversorgung aber trotz aller umgesetzten „einschlägigen marktbasierten Maßnahmen“ nicht ausreicht, um die Nachfrage zu decken, müssen „nicht marktbasierte Maßnahmen“
ergriffen werden. Das bedeutet: Der Staat greift ein, um die Gasversorgung sicherzustellen.

Quelle: Bundesnetzagentur, Notfallplan Gas

Bild: