Frau Haas-Steigerwald, Sie beraten kleinere und mittelständische Unternehmen in Fragen strategischer Kommunikation, coachen und trainieren Führungskräfte. Welchen Stellenwert nimmt das Konzept „New Work“ dabei ein?

Claudia Haas-Steigerwald: Das ist sehr unterschiedlich. Es kommt stark darauf an, wo das Unternehmen gerade steht und wie Arbeit zukünftig in diesem Unternehmen aussehen soll? Will man eine wirkliche Veränderungen oder nur eine New Work-Light, ohne an den Strukturen zu rütteln. New Work beschreibt zwar Arbeitsweisen, die flexibel, vernetzt und digital sind, bietet aber keine Standardlösung für die Umsetzung. Bevor ich neue Arbeits- und Kommunikationsmethoden trainiere, braucht es eine Strategie. Diese erarbeiten wir gemeinsam mit Unternehmensführung und HR. Dabei stellen sich folgende Fragen: Wie können Mitarbeiter in Zukunft ihre Aufgaben noch besser erledigen? Welche Maßnahmen sollten nach Corona beibehalten oder neu eingeführt werden? Welche „Skill-Gaps“ sind bei den Mitarbeitern entstanden und wie können diese geschlossen werden?

New Work steht aber auch für ein neues Verständnis von Arbeit. Weg von Arbeitsteilung und strengen Hierarchien geht es um ein möglichst selbstbestimmtes und selbständiges Arbeiten. Persönliche Weiterentwicklung und lebenslanges Lernen sind hier wichtig. Corona hat Arbeitgeber und -nehmer schlagartig gezwungen, flexible und digitale Arbeits-bedingungen zu schaffen. Nicht nur technische Strukturen mussten ausgebaut, sondern auch interne Prozesse an das neue Verständnis von Arbeitsorganisation angepasst werden. Viele Unternehmen stecken aktuell mittendrin in diesem Transformationsprozess. Andere bekommen Maßgaben von oben und sollen diese jetzt mit Leben füllen. Aktuell begleite ich ein solches mittelständisches Unternehmen. Die Teams sollen zukünftig agil, projektorientiert für einen begrenzten Zeitraum zusammenarbeiten. Dazu erhalten sie aus der Zentrale Ziele, die sie in einem bestimmten Zeitfenster erreichen sollen. In einer Workshopreihe wird eines der Teams exemplarisch von mir angeleitet. Dabei werden Arbeitsweisen erprobt und erarbeitet, die individuell für das Team und die Aufgabe passen. Die Ziele sind: Die starre Abteilungsdenke ablösen, eine teamspezifische Arbeitskultur schaffen und die Teammitglieder befähigen, sich selbst zu managen und eigenverantwortlich im Team an der Zielerreichung zu arbeiten.

Coronabedingte Kürzungen, die Verlagerung der Arbeit ins Homeoffice und wenig bis keine teamfördernden Angebote stellen das Betriebsklima in Unternehmen derzeit auf die harte Probe. Wie sieht erfolgreiche Unternehmensführung in beziehungsweise nach der Corona-Krise aus?

Claudia Haas-Steigerwald: Die neuen Arbeitsformen fordern vom ArbeitnehmerInnen mehr Flexibilität, Eigenverantwortung und damit eine gutes Zeit- und Selbstmanagement. Das fällt nicht jedem Mitarbeiter leicht. Nur weil sie coronabedingt auf den digitalen Zug aufspringen mussten , heißt es noch nicht, dass die neuen Strukturen strategisch und nachhaltig im Unternehmen verankert sind, dass jede Führungskraft die flachen Hierarchien akzeptiert und ArbeitgeberInnen sich in der Moderation des neuen Teams sicher fühlen. Wichtig ist daher, dass die Unternehmensführung eine offene, transparente und wertschätzende Kommunikationskultur schafft, in dem MitarbeiterInnen äußern können, was sie brauchen, um flexibel arbeiten zu können. Ich kenne auch Führungskräfte, die sich nicht trauen zu sagen, dass sie Berührungsängste mit bestimmten Methoden haben. Geschäftsführung und HR sollten hier eng zusammenarbeiten, Unterstützungsangebote formulieren und Lern- und Testräume schaffen. So können sich die Mitarbeiter in geschütztem Rahmen mit den neuen Arbeitsweisen anfreunden und lernen.

Wie kann „New Work“ hier ansetzen?

Claudia Haas-Steigerwald: Arbeit ist nicht mehr länger nur reiner Broterwerb, sondern bei New Work hat Arbeit mit einem zufriedenen und gesunden Lebensgefühl zu tun. Menschen wollen sich heute in ihrer Arbeit entfalten und individuell weiterentwickeln, möchten sich wertgeschätzt fühlen. Arbeitgeber, die hier Angebote schaffen, sind für BewerberInnen heute attraktiv.

Was ist New Work?:

New Work ist ein Oberbegriff für unterschiedliche und alternative Arbeitsmodelle und -formen und geht auf den Sozialphilosophen Frithjof Bergmanns zurück, der in den 1980er Jahren ein Theoriekonzept der neuen Arbeit entwickelte. Old Work steht dabei für die Arbeitsformen der Industriegesellschaft, während New Work zur neuen Wissens- und Informationsgesellschaft zählt, in der wir heute leben. Freiheit, Selbständigkeit und Teilhabe sind dabei zentrale Werte der neuen Arbeitswelt. Arbeitsweisen werden vernetzter, digitaler und flexibler. New Work umfasst heute viele neue Arbeitsformen, wie Agiles Arbeiten, Work Life Blending mit den flexiblen Arbeitsmodellen, wie  Home Office, Remote Work sowie Crowdworking und Co-Working, Holacracy und Jobsharing.

Per Definition sieht das Konzept vor allem mehr Freiheiten und Flexibilität für Arbeitnehmer vor. Welche Vorteile ergeben sich für Arbeitgeber?

Claudia Haas-Steigerwald: Wird New Work in einem Unternehmen wirklich gelebt, bedeutet das Win-Win für beide Seiten: Können ArbeitnehmerInnen flexibel und schnell auf Veränderungen reagieren, kann das Unternehmen ebenso agil auf die Bedingungen des Marktes reagieren. Da hier einige Unternehmen noch im hinterher hinken, kann das durchaus ein Wettbewerbsvorteil sein. Arbeiten die Teams interdisziplinär und kreativ, zeigt sich das ebenfalls in den Ergebnissen. Zudem werden Unternehmen, die New Work leben für die Generation Y weitaus attraktiver sein als die Arbeitgeber, die hier entscheidende Entwicklungen verschlafen.

Könnte, ähnlich wie bei Nachhaltigkeit, „New Work“ Gefahr laufen, eine bloßer Begriff zu sein, mit dem sich Unternehmen schmücken?

Claudia Haas-Steigerwald: Viele Unternehmen nutzen die Buzzwords agil und New Work bereits, wollen sich auch Verändern aber wissen nicht, wie und wohin. Da verfällt man gerne in hektischen Aktionismus, bucht mal schnell einen Design-Thinking-Kurs für seine Teams und erwartet dann, dass alle die neuen Arbeitsweisen direkt umsetzen. Aber New Work ist mehr als ein Trend. Es wird die Arbeitswelt der Zukunft. Ich erlebe hier unternehmensseitig viel Unsicherheit und Beratungsbedarf. Jetzt gilt es, die gemachten Erfahrungen aus der Corona-Zeit zu nutzen und hier weiter aufzubauen. Eines ist sicher: Wer jetzt in die alte Strukturen zurückfällt zeigt, dass er New Work nicht wirklich verstanden hat.

Allmählich ziehen die neuen Generationen in die Arbeitswelt ein und möchten sich immer weniger in alte starre Raster einfügen. Wie müssen sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber künftig entgegenkommen?

Claudia Haas-Steigerwald: Es geht heute bei New-Work nicht mehr nur um Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Die Arbeit soll zukünftig auch mit den individuellen Interessen, Werten und Überzeugungen im Einklang stehen. Wir sehen aktuell bereits durch mobile Arbeit, wie stark die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verschwimmen. Hier gilt es, die Freiräume gemeinsam mit der Führung und HR abzustecken. Für manche ist das ein neues Feld. Wer als ArbeitnehmerIn frei und selbstbestimmt arbeiten möchte, sollte sich selbst organisieren können und wissen, was er/sie braucht, um die eigene Kompetenz auszubauen. Wer das noch nicht beherrscht, braucht in Zukunft Angebote zur persönlichen Weiterentwicklung. Bietet ein Unternehmen hier entsprechend durchdachte, attraktive und vor allem passgenaue Angebote, kann auf jeden Fall punkten. Ein weiterer und meines Erachtens entscheidender Schlüssel ist die interne Kommunikationskultur. Eine offene, transparente und wertschätzende Kommunikationskultur muss das Ziel sein. Die digital Natives können hier sicher helfen, Prozesse zu beschleunigen und Ängste im Umgang der digitalen Transformation abzubauen. Mein Vorschlag: Wie wäre es mit einem generations- und abteilungsübergreifenden Think Tank im Unternehmen, wo die Zukunft der neue Arbeit im Unternehmen diskutiert wird?

 

Zur Person:

Claudia Haas-Steigerwald ist Kommunikationstrainerin, Redecoach und Dozentin. Mit ihrer Firma comdico mit Sitz in Ladenburg/Heidelberg berät sie seit über 20 Jahren Unternehmen in Fragen der strategischen Kommunikation, trainiert und coacht Führungskräfte und Teams. Zu ihren Kunden zählen Unternehmen aus Wirtschaft, Verlagswesen, Medizin sowie Kommunen. Die studierte Germanistin und Master of Speech Communication and Rhetorik ist Lehrbeauftragte mit Schwerpunkt Rhetorik, Moderation und Konfliktmanagement und Referentin an Universitäten in Deutschland und der Schweiz.

 

(Interview: Sophia Zang, Bild: Claudia Haas-Steigerwald)