Zum econo-Jubiläum ein Gespräch mit dem Ehrenpräsidenten des „Club of Rome“, Ernst Ulrich von Weizsäcker. Die Themen: Warum E-Fuels doch sinnvoll sind, wieso Kernfusion gefährlich ist – und weshalb die „volle Welt“ von heute eine Neue Aufklärung nötig hat, was auch für die Metropolregion Rhein-Neckar gilt. Interview: Ingo Leipner

Das Engagement von Volker Wissing (FDP) für E-Fuels wurde hart kritisiert. Zu gering sei die energetische Ausbeute, von 100 Prozent am Anfang der Produktion blieben nur 15 Prozent am Ende übrig. Trotzdem springen Sie, Herr von Weizsäcker, dem Bundesverkehrsminister zur Seite. Warum?
Deutsche Autobauer verkaufen viele Autos nach Afrika oder China. Es geht daher nicht allein um die Frage, ob in Deutschland nur Autos mit Strom fahren sollen – und wir ganz auf E-Fuels verzichten. Es ist nämlich für unser Land völlig in Ordnung, wenn ab 2035 europaweit Verbrenner keine Zulassung mehr erhalten. Aber: Weltweit sind im Moment etwa 1,2 Milliarden Autos mit Verbrennungsmotor unterwegs. Die meisten Eigentümer haben nicht den geringsten Anlass, ihren Verbrenner zu verschrotten und ein Elektro-Auto zu kaufen. Wir wollen jedoch erreichen, dass diese Menschen klimaneutral unterwegs sind. Dann wäre es gut, wenn sie E-Fuels tanken könnten, was technisch möglich ist.
Ließen sich die nötigen Mengen produzieren, für 1,2 Milliarden Verbrenner-Autos?
Natürlich kann das 15 Jahre dauern, bis entsprechende E-Fuels entwickelt sind. Das wird aber trotzdem von Vorteil sein, angesichts der langen Lebenszeit eines Verbrenner-Motors. Zudem ist das ein guter Ansporn, tatsächlich klimaneutrale Treibstoffe zu entwickeln. Gerade für Seeschiffe und Flugzeuge gibt es für E-Fuels eine sinnvolle Nutzung.
Gleichzeitig ist der Strom aus Photovoltaik sehr billig geworden, er kostet in sonnenreichen Ländern wie Algerien nur noch einen Euro-Cent pro Kilowattstunde. Dieser günstige Strom lässt sich verwenden, um Wasser (H2O) in Sauerstoff (O2) und grünen Wasserstoff (H2) zu spalten. Der grüne Wasserstoff reagiert dann mit Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre – und es entsteht Methanol, in der Öffentlichkeit als E-Fuel bezeichnet. Methanol hat zwar eine geringere Effizienz als Benzin, ist aber bei dieser Herstellungsweise klimaneutral.

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Ernst Ulrich von Weizsäcker: Eckart von Hirschhausen hat das Vorwort geschrieben zum jüngsten Buch, das von Weizsäcker veröffentlicht hat („So reicht das nicht!“). Da heißt es: „‚One Health‘ oder ‚Planetary Health‘ braucht Menschen die global über ihr Fachgebiet hinausschauen können; Tellerrand genügt nicht, denn die Erde ist ja keine Scheibe.
Ernst ist so jemand dieser raren Spezies. Er hat intellektuell wirklich Unglaubliches geleistet. Er studierte Physik, ein bisschen Chemie, dann Biologie und wurde zum Ordentlichen Biologieprofessor berufen. Dann in rascher Folge Präsident der Universität Kassel, Direktor am UNO-Zentrum für Wissenschaft und Technologie in New York, Direktor des Instituts für Europäische Umweltpolitik in Bonn, Paris, London und anschließend Gründungspräsident des Wuppertal Instituts. Von 1998 bis 2005 war er für die SPD im Bundestag, und ab 2006 Leiter der Kalifornischen Umwelthochschule. Aber seit 2009 ist er im Breisgau, im ‚Ruhestand‘“.

 

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In der Diskussion steht aber gerade der Import von Wasserstoff im Vordergrund. Da fährt ein Gastanker von Hamburg nach Brisbane (Australien) und zurück, eine Strecke von ungefähr 28 000 Kilometern. Dabei verbrennen seine Schiffsmotoren etwa 35 000 Tonnen Schweröl, was zur Emission vieler Schadstoffe führt, zum Beispiel Schwefel, Feinstaub oder Stichoxide. CO2 wird ebenfalls ausgestoßen … Experten sagen, die in Hamburg mit dem flüssigen Wasserstoff angelandete Energiemenge ist nur etwa doppelt so groß wie die benötigte Transportenergie. Werden Importe so zu einer Sackgasse?
Das ist ein wichtiger Einwand. Deshalb setzte ich mich dafür ein, den grünen Wasserstoff direkt in den sonnenreichen Ländern herzustellen und dabei zugleich das CO2 aus der Luft dieser Staaten zu nehmen, um vor Ort E-Fuels zu produzieren. Dem Weltklima ist es egal, ob das in Hamburg oder Australien geschieht – und wir hätten das Transportproblem gelöst. Der Gastanker müsste gar nicht losfahren, um den Wasserstoff nach Deutschland zu bringen. Übrigens: Methanol lässt sich viel leichter transportieren als Wasserstoff, der auf minus 253 °C gekühlt werden muss, um flüssig zu bleiben.
Wasser spalten – das klingt so einfach. Aber inzwischen leiden viele afrikanische Länder mit starker Sonneneinstrahlung unter Wasserknappheit. Und jetzt wollen wir diese bereits umkämpfte Ressource anzapfen, um damit unsere Autos zu betanken?
Die Frage ist völlig richtig. Wir müssen für die Produktion von E-Fuels auch die Seewasserentsalzung vorantreiben, um keine Knappheit beim Trinkwasser auszulösen.
Themenwechsel: Die Kernfusion gilt als potenzielle Energiequelle der Zukunft. Im Gegensatz zu E-Fuels ist diese Technologie aber noch weit davon entfernt, großtechnisch nutzbar zu sein. Doch im Dezember 2022 meldete die US-amerikanische Regierung einen Durchbruch: Zum ersten Mal sei mehr Energie beim Verschmelzen der Atomkerne entstanden, als verbraucht worden ist. Hört sich märchenhaft an, oder?
Die Idee der Kernfusion klingt zunächst phantastisch. Es wäre großartig, auf der Erde Energie in einer Weise zu erzeugen, wie es die Sonne seit Millionen Jahren macht. Auf der Sonne findet eine Fusion von Tritium und Deuterium statt. Dabei entsteht als Produkt das Element Helium, das völlig unschädlich ist. Entscheidend ist aber: Bei dieser Fusion bleibt immer ein Neutron übrig! Dieses Neutron kann sich selbstständig machen und rasend schnell davonfliegen. Es kann durch jede Mauer durchgehen, weil es neutral ist.
Daher könnte Folgendes passieren: Ein solches Neutron gelangt in die Außenwelt und prallt zum Beispiel auf ein Luftmolekül. Dann kann der Atomkern, der das Neutron aufnimmt, plötzlich radioaktiv werden. Ein echtes Worse-Case-Szenario für die Kernfusion, denn die Abschirmung gegen diese Neutronenstrahlung ist sehr anspruchsvoll.

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Kernfusion wie in der Sonne: „Sowohl bei Kernspaltung als auch bei Kernfusion dienen Atomkerne als Basis für die Energiegewinnung. Bei der Kernspaltung werden Atomkerne gespalten, es entsteht unter anderem radioaktiver Abfall. Bei der Kernfusion hingegen werden kleine Atomkerne bei extremen Temperaturen mit Hilfe von Lasern zu größeren verschmolzen – fusioniert. Dabei werden enorme Mengen Energie freigesetzt. Ein ähnlicher Prozess findet in Sternen und damit auch in der Sonne statt.“

Quelle: https://www.tagesschau.de/wissen/kernfusion-forschung-durchbruch-101.html

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In einer großtechnischen Anlage würden wir von unzähligen Neutronen sprechen, die sich zu Milliarden und Abermilliarden auf die Reise machen.
Wir wollen bei der Energieproduktion möglichst keine Radioaktivität erzeugen. Wenn aber die Kernfusion auf dem Umweg über Neutronen unsere Luft radioaktiv werden lässt, kann das keine attraktive Technologie sein. Wir sind ja in Deutschland aus der Atomenergie ausgestiegen, weil die Risiken der Nukleartechnik zu groß waren.
Ihr aktuelles Buch ist gerade auf den Markt gekommen: „So reicht das nicht“, lautet der mahnende Titel. Was ist die zentrale Botschaft im Buch?
Es sind zwei Botschaften. Die erste besagt, es reicht nicht, wenn wir in Deutschland zu einer Art „Klima-Engel“ werden. Unsere CO2-Emissionen betragen gerade zwei Prozent des gesamten Ausstoßes an Treibhausgasen. An den übrigen 98 Prozent sind wir höchstens indirekt beteiligt, etwa durch die Auslagerung CO2-intensiver Produktion ins Ausland. Wir müssen weltweit denken! Dazu gehört die Frage, wie sich der Autoverkehr in Ländern der 3. Welt klimaneutral gestalten lässt – ohne die Notwendigkeit, dass alle Menschen dort Elektro-Autos kaufen. An der Stelle sei noch einmal an die E-Fuels erinnert …
Die zweite Botschaft lautet: Wir brauchen in der „vollen Welt“ von heute eine neue Aufklärung, weil die „leere Welt“ Vergangenheit geworden ist. Für die erste Aufklärung stehen große Geister wie Martin Luther, Rene Descartes oder Immanuel Kant … Doch sie entwickelten ihre wertvollen Gedanken in einer „leeren Welt“. Als Fortschritt erlebten damals die Menschen, wenn sie neue Lagerstätten für Metalle oder Erdöl fanden oder aus europäischer Sicht neue Kontinente eroberten, oft mit Feuer und Schwert.
Das können wir aber heute in einer „vollen Welt“ nicht mehr als Fortschritt bezeichnen. Daher müssen wir ein neues Mindset entwickeln, das langfristige Klimaneutralität und biologische Vielfalt in unser Denken einbezieht. So wird es zum Beispiel nötig sein, naturfreundliche Wälder zu pflegen oder ökologische Prinzipien in unseren Städten zu verwirklichen. Etwa, wie es die Bewegung „Urban Gardening“ versucht, die Gemüse in einem urbanen Umfeld anbaut.Gleichzeitig brauchen wir mehr Balance statt engstirniger Rechthaberei in der Wissenschaft. Dazu gibt es in dem Buch ein ganzes Kapitel, das sich mit einer Neuen Aufklärung beschäftigt. Wenn wir als Zivilisation ein neues Gleichgewicht entwickeln, fällt es uns sicher leichter, auch an der Klimafront bestimmte Maßnahmen selbstverständlich zu realisieren, weil sie einfach vernünftig sind.

Quelle: Darstellung nach von Weizsäcker, Ernst Ulrich (2023): „So reicht das nicht!“, Bonifazius, Paderborn, S. 72

Wie sieht es aber mit der globalen Industrie aus, die ein atomar-fossiles Geschäftsmodell hat? Sie zeichnet sich durch starke Beharrungskräfte aus, weil „Business as usual“ immer noch hohe Renditen bringt. Zum Beispiel der Öl-Konzern Exxon, der im Krisenjahr einen Rekord-Gewinn von 56 Milliarden Dollar erzielte. Ist das nicht ein starker Hemmschuh für ein neues Denken?
Keine Frage, da haben wir ein großes Problem. Aber in Deutschland gibt es ja Kompensationen, wenn sich das Ruhrgebiet oder ostdeutsche Regionen durch den Kohleausstieg existentiell gefährdet sehen. Der Ausstieg soll ja bis 2038 oder früher stattfinden, und für diesen Strukturwandel stellt der Staat den Kohleregionen bis zu 40 Milliarden Euro zur Verfügung. Denn: Bei Kohle, Erdöl und Erdgas stehen zu bleiben, ist klimapolitisch nicht zu verantworten. Wer durch den Ausstieg geschädigt wird, muss an anderer Stelle positiv gestärkt werden. Dabei bieten Photovoltaik und Windenergie die Möglichkeit, in Deutschland profitabel Strom zu produzieren. So kann der Strukturwandel gelingen.
Welche Rolle spielen bei diesem Prozess der Transformation die Finanzmärkte?
Die Wallstreet hat ein feines Gespür, was die Zukunft bringen könnte. Wenn wir in Deutschland strikt auf die Entwicklung grüner Technologie und Infrastruktur sowie Veränderungen im Verhalten setzen, dann spüren die Menschen in der Wirtschaft: „Aha, das ist die Zukunft!“ Dann werden plötzlich die Franzosen, Italiener, Kanadier oder Araber erkennen: „Donnerwetter, da dürfen wir auf keinen Fall hinterherlaufen …“

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Neutronenstrahlung: Der Physiker Dr. Rüdiger Paschotta schreibt: „Die Fusion von Deuterium und Tritium gilt als am ehesten technisch realisierbar. […] Die daraus freigesetzte Energie ist zum größten Teil in den abgestrahlten Neutronen enthalten, also in einer extrem ‚harten‘ (energiereichen) Neutronenstrahlung. Diese Neutronenstrahlung müsste also in einer Vorrichtung absorbiert werden, welche einerseits der Strahlung für nützliche Zeit standhalten kann und andererseits die entstandene Wärmeenergie in nutzbarer Form liefert.“ Dr. Paschotta zeigt auf diese Weise, wie schwierig es werden könnte, die Neutronenstrahlung in den Griff zu bekommen.

Quelle: https://www.energie-lexikon.info/kernfusion.html

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Stichwort „Veränderung im Verhalten“: Neben der Technik brauchen wir auch eine innere Entwicklung der Menschen, damit der oft klimaschädliche Konsum seine Dominanz verliert, oder?
Ja, natürlich … Nehmen wir als Beispiel das Haus. Die heutigen Gebäude lassen sich oft als „Klimaschädlinge“ bezeichnen. Sie sollten wir umrüsten auf den Standard eines „Passivhauses“. Meine Familie und ich haben das Glück, in einem neu gebauten Passivhaus zu leben. Wir haben praktisch keine Heizkosten mehr. Dann spielt es für uns keine Rolle, ob Russland an Deutschland Erdgas liefert.
Hinzu kommt noch die Landwirtschaft: Sie erzeugt eine große Menge an Treibhausgasen, etwa durch das Düngen. Dabei entsteht Lachgas, und dieses Gas hat pro Molekül eine 280-fache Erderwärmungswirkung als CO2. Diese Zustände sind auch zu überwinden.
Wie sieht es aber mit der Veränderung des Verhaltens aus?
Da lässt sich an ein paar Schrauben drehen, wir müssen ja nicht wöchentlich nach Teneriffa düsen … (lacht). Wir werden sicher mit den neuen Technologien auch neue Verhaltensweisen erlernen. Ähnlich wie bei der Kohle: Als sie als Brennstoff entdeckt wurde, wollten plötzlich alle Menschen Kohle verbrennen. Das heißt: Wir sind als Zivilisation in der Lage, mit anderen Randbedingungen neue Verhaltensweisen zu entwickeln. Das bedeutet nicht unbedingt Verzicht, sondern zunächst kleine Veränderungen.
Neben die Effizienz sollte die Suffizienz treten.
Völlig richtig, Suffizienz bedeutet Genügsamkeit, was schon immer eine vernünftige Tugend gewesen ist. Auch die Generation meiner Großeltern hat sich selbstverständlich an diesen Werten orientiert. Wir müssen dafür sorgen, dass die Genügsamkeit wieder als Tugend erkannt wird – und nicht als Schwäche gilt.

„So reicht das nicht“

„Scharfsinnig analysiert Ernst Ulrich von Weizsäcker die Auswirkungen von Globalisierung, unkontrolliertem Wachstum und Materialismus. Eindringlich wie selten warnt der Umweltwissenschaftler vor den drastischen Folgen der Erderwärmung für Mensch und Natur – und gibt klare Handlungsempfehlungen für Politik, Weltwirtschaft und Gesellschaft.“ Quelle: Klappentext „So reicht das nicht!“

 

 

 

Bilder: James Badham; mbolina/stock.adobe.com