Hildegard Müller ist Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA). Mit econo sprach sie über die Probleme beim Absatz von Elektroautos in Deutschland, was die Bundesregierung jetzt tun muss und wie die Mobilität der Zukunft aussehen könnte.

INTERVIEW: CHRISTIAN SCHALL UND STEPHAN EISNER

Frau Müller, welches Auto fahren Sie gerade?
Ich fahre hybrid – dienstlich und privat. Ich kann viel elektrisch fahren und auf längeren Strecken noch mit dem Verbrenner. Ich hoffe aber, dass es mit der Ladeinfrastruktur besser wird, dann bin ich bald voll elektrisch unterwegs.

Hören wir eine gewisse Skepsis gegenüber der reinen E-Mobilität?
Nein, die Autofahrer blicken jedoch natürlich immer auf die Kilometerreichweite, die bei E-Autos aber stetig zunimmt. Ich bin beruflich viel durch Deutschland unterwegs – auch an Orten, wo öffentliches Laden nicht möglich ist. In gut jeder dritten Gemeinde in Deutschland gibt es noch keinen öffentlichen Ladepunkt, in rund dreiviertel der Gemeinden noch keinen öffentlichen Schnellladepunkt.

Also können Sie die Kaufzurückhaltung bei den E-Autos der Konsumenten auch verstehen?
Teils, teils. Die deutschen Autohersteller haben weltweit rund 130 rein elektrische Modelle im Angebot, da ist für jeden etwas dabei. Die Menschen müssen aber auch die Sicherheit haben, immer und überall problemlos Laden zu können.

Viel Neues, viele Verunsicherungen….
Ja, auch die Kappung des Umweltbonus über Nacht vor Weihnachten hat zu einer großen Verunsicherung geführt. Nun ist aber der Blick nach vorn gefragt: Die Menschen stellen sich konkret die Frage, wo kann ich mein Auto laden? Nicht jeder hat ein Einfamilienhaus mit Lademöglichkeiten oder einen Arbeitgeber, der das anbietet. Aber Elektromobilität soll die neue Normalität werden, und deshalb brauchen wir mehr Bewegung beim Ausbau der Ladeinfrastruktur. Insofern kann ich die Vorbehalte ein Stück weit verstehen, aber ich möchte auch Mut machen, es einfach mal auszuprobieren. Wer einmal elektrisch gefahren ist, ist von der Technik und dem Fahrgefühl beeindruckt.

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Hildegard Müller ist seit 1. Februar 2020 Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA). Die Diplomkauffrau war bis 2008 Mitglied des Bundestags und ab 2005 Staatsministerin unter Angela Merkel. Ab Mai 2016 war sie Vorstandsmitglied bei Innogy.

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Das Angebot der Hersteller in Deutschland ist eher hochpreisig. Das war schon immer so. Aber uns fehlen die kleinen und kompakten Fahrzeuge.
Widerspruch. Rund jeder zweite E-Kleinwagen, der in Deutschland neu zugelassen wird, stammt von einem deutschen Hersteller. Zudem haben unsere Hersteller für die sehr nahe Zukunft weitere günstigere Elektro-Modelle angekündigt. Ich weiß, dass die Preise für Verbraucherinnen und Verbraucher aktuell noch herausfordernd sind, aber Skaleneffekte durch höhere Produktionszahlen und Technologiesprünge werden dazu führen, dass die Kosten weiter sinken werden. Zur Wahrheit gehört aber auch: Aktuell haben wir in Deutschland Energiepreise, die nicht wettbewerbsfähig sind, wir haben hohe Lohnkosten und die Bürokratie in Deutschland ist immens. All das führt dazu, dass das Auto auch in seiner Produktion teurer ist. Deshalb werde ich auch nicht müde, auf die Standortbedingungen hinzuweisen.

Die treffen ja auch andere Industriebereiche.
Sicher. Warum können wir in Deutschland Batterien nicht wettbewerbsfähig herstellen? Das hat nichts mit Können und Vermögen der Industrie zu tun. Wir tun das überall im Ausland, aber wir können es hierzulande oftmals wegen der Standortbedingungen nicht. Es geht jetzt darum, wie wir trotzdem den Weg zur klimaneutralen Mobilität hinbekommen. Wir sind davon überzeugt, dass Elektromobilität den entscheidenden Beitrag leisten kann. Deshalb kommen diese hohen Investitionen unserer Industrie, die aber begleitet werden müssen von den richtigen politischen Rahmenbedingungen.

Die Batterie-Herstellung in Deutschland ist erst im Aufbau.
Richtig. Und es gibt jetzt Überlegungen für eine Batterieverordnung aus Brüssel, die völlig kontraproduktiv ist. Bisher konnten Batterieproduzenten Direktverträge mit einem erneuerbaren Stromproduzenten im europäischen Ausland abschließen. Damit war die Batterie auch CO2-neutral. Das ist ein wichtiger Baustein. Brüssel will das jetzt ändern. Sie können als Unternehmen dann nicht mehr sagen, ich schließe einen Direktvertrag ab, sondern der durchschnittliche Strommix des Erzeugerlandes der Batterie soll angesetzt werden, in diesem Fall also der durchschnittliche deutsche Strommix, bei dem jedoch Kohle noch eine erhebliche Rolle spielt. Das ist ein Riesenproblem, das schießt die Batterieindustrie aus Deutschland ins Aus. Berlin muss hier klare Haltung zeigen und das in Brüssel verhindern.

Wäre es nicht generell schlauer gewesen, auf elektrisch betriebene Kleinwagen zu setzen und bei den großen Fahrzeugen weiterhin auf Verbrenner?
Nein. Gerade im Premium-Segment gibt es schon viele Optionen und Modelle. Synthetische Kraftstoffe und Wasserstoff können außerdem effiziente Instrumente für lange und schwere Nutzfahrzeuge sein, die transnational unterwegs sind. Je mehr technische Optionen wir zur Verfügung haben, umso besser können wir entscheiden, welche Option für welche Art von Transport je nach Region in der Welt die Beste ist. Viele Busse fahren im Übrigen auch schon rein elektrisch. E-Mobilität ist also nicht nur für Kleinwagen überzeugend.

Ein kritischer Punkt ist die Ladeinfrastruktur. Wir sehen das selbst, wenn wir unterwegs sind mit einem E-Auto. Wir haben zu Hause nicht die Möglichkeit, günstig mit einer PV-Anlage auf dem Dach zu laden. Und zahlen deshalb auch hohe Strompreise. Das ist auch ein Grund, der sicherlich abschreckt, oder?
Bezahlbare und CO2-neutrale Energie ist wichtig für die Industrie und selbstverständlich auch für die Verbraucher, die ihr Auto natürlich am besten CO2-neutral laden sollen. Das gelingt nur mit internationalen Energiepartnerschaften. In Afrika, im Nahen Osten, in Lateinamerika gibt es viele Flächen, wo sich diese Energie produzieren lässt. Doch wenn die EU es jetzt nicht hinbekommt, mit diesen Regionen Verträge über die Lieferung von billigem Grünstrom zu schließen, sieht es schlecht aus. Andere Länder sind da aktiver und schneller.

Das Bezahlen ist nicht so einfach, wenn man mit dem E Auto unterwegs ist.
Das Bezahlsystem muss endlich vereinheitlicht und vereinfacht werden, so dass Nutzer an jedem Ladepunkt laden können. Künftig wird durch eine neue EU-Regel der Preis transparenter ausgewiesen, das ist gut. Was es noch braucht, ist ein einheitliches System für die Abrechnung. Und es muss ausreichen, einen einzelnen Stromvertrag für ein E-Auto abzuschließen, so wie es für eine Wohnung oder ein Haus auch funktioniert. Da sind auch die Energieversorger gefragt, endlich nutzerfreundliche Lösungen anzubieten!

Wenn man sich den Strommix in Deutschland anschaut, ist der ja nicht wirklich umweltfreundlich produziert. Die viel beschworenen Null Emissionen beim E-Mobil sind eigentlich ein Fake, oder?
Wichtig ist, dass wir uns in Zukunft in der gesamten Lieferkette auch die Produktion mit den Einsatzstoffen und Rohstoffen sowie die Wiederverwertung ansehen. Deshalb setzt die deutsche Automobilindustrie auf das Thema Kreislaufwirtschaft und ist hier international führend. 85 Prozent eines Autos werden zudem heute schon recycelt. Sie haben aber natürlich recht, auch der Strom muss CO2-neutral erzeugt werden, das ist ganz wichtig.

Wobei die Anschaffungspreise für E-Autos ja deutlich höher sind als für Verbrenner. Gerade bei Modellen, die es mit beiden Antrieben gibt, lässt sich das gut vergleichen.
Wie bereits gesagt, haben die Hersteller günstigere Modelle angekündigt und werden sich die Skaleneffekte positiv auswirken. Hinzu kommt: Man muss den gesamtes Lebenszyklus eines Autos sehen, nicht nur den Kaufpreis. E-Autos sind zum Beispiel von der Kfz-Steuer befreit. Und die Betriebskosten sind bei E-Autos niedriger als bei Verbrenner.

Und trotzdem stehen viele E-Autos auf Halde. Audi überlegt jetzt sogar, das Werk in Brüssel zu schließen, im VW-Werk Zwickau werden Schichten zurückgefahren. Demnächst könnten auch Arbeitsplätze auf der Kippe stehen. Wie müsste die Bundesregierung jetzt ihre Politik ändern, dass sich das alles ändert?
Natürlich sind die Rahmenbedingungen entscheidend dafür, wo am Ende des Tages investiert und produziert wird. Und der deutsche sowie der europäische Standort brauchen dringend Reformen für mehr internationale Wettbewerbsfähigkeit – gerade mit Blick auf die schwierigen geopolitischen Rahmenbedingungen. In vielen anderen Ländern geht der Hochlauf der Elektromobilität weiter und die Standortbedingungen für die Produktion sind günstiger. Die Probleme, die wir hier haben, sind hausgemacht.

Haben Sie Angst, dass sich das Auto mit den hohen Preisen, die auf uns alle zukommen, irgendwann abschafft?
Eine Allensbach-Studie im Auftrag des VDAs zeigt ganz deutlich, dass der Stellenwert des Autos für die überwältigende Mehrheit unverändert hoch ist, auch bei den jungen Menschen. Übrigens hatten noch nie so viele junge Menschen unter 25 Jahren wie heute ein Auto. Das oft bemühte Bild der Anti-Auto-Jugend ist eine Mär! Im Übrigen ist es entscheidend, dass die Verkehrspolitik die Lebensrealitäten der Menschen berücksichtigt, und zwar die der Menschen in Städten genauso wie in ländlichen Räumen. Gerade auf dem Land geht auch heute ohne das Auto nichts, da auch die öffentlichen Nahverkehre oft fehlen. Es sichert soziale Teilhabe, wird gebraucht für den Weg zur Arbeit, den Einkauf, um die Kinder zum Sport zu bringen. Ich bin übrigens ein großer Fan des autonomen Fahrens, weil es erhebliche Chancen bietet, Mobilität für alle auf Dauer zu ermöglichen, insbesondere in ländlichen Regionen.

Beim autonomen Fahren sind die deutschen Hersteller absolute Vorreiter und machen das im Vergleich zu anderen Herstellern in den USA auch sicherer. Wann fahren wir in Deutschland flächendeckend autonom?
Technisch sind die deutschen Hersteller ganz weit vorne. Wir merken das alle an den Assistenzsystemen, die ganz selbstverständlich schon genutzt werden. Die Hersteller testen aber bereits auch autonom fahrende Autos und Nutzfahrzeuge. Auch auf der IAA Transportation im September wird das Thema präsent sein. Zahlreiche Aussteller werden aktuelle Entwicklungsschritte erstmalig einem breiten Publikum präsentieren. Ich wünsche mir eine positive gesellschaftliche Debatte über die Chancen des autonomen Fahrens. Wie gesagt gerade mit Blick auf den ländlichen Raum.

Warum sehen Sie das autonome Fahren eher im ländlichen Raum? Wir hätten jetzt mehr an die Stadt gedacht.
Natürlich ist autonomes Fahren auch in Städten ein Thema, aber auf dem Land gibt es einen großen Bedarf und nicht die Verkehrsdichte wie in den Städten. Aber natürlich ändert sich in den Städten die Mobilität, wir erleben das ja bereits. Es gibt kreative, neue Ideen, auch für Mikromobilitäten, also zum Beispiel E-Bikes, Elektroroller. Auch Carsharing spielt in vielen Städten eine Rolle. Der Mix der Verkehrsträger und deren Vernetzung untereinander ist wichtig.

Ohne Autos wird es also nicht gehen?
Ich bin sehr sicher, dass das Auto als Teil des Mobilitätsmixes auch auf Dauer dazu gehören wird. Gute Verkehrspolitik hat die Lebensrealitäten aller im Blick, egal ob man in der Stadt oder auf dem Land wohnt. Die Transformation darf die Gesellschaft auf keinen Fall spalten und Konfliktlinien verstärken. Viele Menschen fühlen sich aufgrund ihrer Lebenssituation oder finanziellen Lage oftmals bei vielen Reformvorhaben nicht mitgenommen. Dann wird es schwierig, gerade in Zeiten von Transformation und Veränderung.

Zumal der öffentliche Nahverkehr auch Schwächen hat.
In der Tat. Wenn man sich zum Beispiel die Umbauzyklen bei der Bahn ansieht, dann muss man auch hier an den Ursachen arbeiten. Die Automobilbranche ist einer der größten Verlader und wir würden uns eine besser funktionierende Bahn sehr wünschen.

Kann die Mobilität wirklich klimaneutral werden?
Wir haben die große Chance, klimaneutrale Mobilität zu erreichen. Die Lösungen liegen in Innovation, Forschung und Entwicklung. Deutschland ist dort nach wie vor vorne mit dabei. Wir dürfen optimistisch sein und sollten Veränderungen nicht nur als Risiken betrachten, sondern als Chance begreifen. Wenn wir das schaffen, dann bleiben wir weiter große Exportindustrie und bieten technische Lösungen auch für andere Regionen der Welt an.

*Anmerkung der Redaktion: Das Interview wurde Anfang August geführt.

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