Die Wirtschaft der Region ist in einer schwierigen Lage. Dies spiegelt sich in den Geschäftserwartungen der Unternehmen für die nächsten zwölf Monate wider, die laut einer Umfrage der IHK Rhein-Neckar branchenübergreifend sinken. „Das ist fast schon wieder wie Anfang 2020. Allerdings stimmen die Umsätze noch, nur die Erwartungen sind schlecht“, meint Julian Harpf, Konjunkturreferent bei der IHK Rhein-Neckar. 

Im ersten Quartal 2022 liefen die Geschäfte zwar noch gut, was durch eine gewisse Aufbruchstimmung nach dem Ende der Pandemiemaßnahmen bedingt war. Die gute Stimmung brach dann aber infolge des Ukraine-Krieges ein. Der Handel ist von diesem Rückgang der Geschäftserwartungen am stärksten betroffen, im Dienstleistungsbereich ist die Stimmung besser, da Dienstleister wie Hotels und Restaurants während der Pandemie in viel schwierigeren Fahrwassern navigieren mussten. 

Gerade die Inflation bereitet vielen Unternehmern Kopfzerbrechen, denn sie scheint gekommen, um zu bleiben. Gingen einige Volkswirte noch im vergangenen Jahr davon aus, dass der Anstieg der Teuerungsraten nur eine Folge der Wiederanhebung zeitweise gesenkter Mehrwertsteuersätze sei, ist die Mehrheit der Wirtschaftswissenschaftler mittlerweile überzeugt, dass die Inflationsraten nicht wieder rasch sinken werden. Vor allem die Kombination aus stark gestiegenen Energie- und Einkaufspreisen sowie Lieferengpässen setzt die Kalkulation vieler Unternehmen unter Druck. Julian Harpf ist sich sicher: „Diejenigen, die Preissteigerungen weitergeben können, werden das auch tun. Andernfalls droht das Abrutschen in die Verlustzone.“ 

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Marktmacht 

Gablers Wirtschaftslexikon erklärt diesen Begriff: “Kriterium der Wettbewerbstheorie zur Kennzeichnung des Wettbewerbsgrades auf einem Markt. Marktmacht wird dabei im Sinn von Marktbeherrschung interpretiert, die tendenziell zur Ausschaltung des Wettbewerbs führt. Die Bekämpfung von Marktmacht durch Verhinderung von Kartellen, Fusionskontrolle und Entflechtung von Konzernen ist die vordringlichste Aufgabe der Wettbewerbspolitik.“ 

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Die Frage ist hier wie so oft aber, wer am längeren Hebel sitzt (Marktmacht). Das betrifft erstens die Preise, die der Handel von den Endkunden verlangen kann. Über lange Jahre haben sich die Konsumenten daran gewöhnt, dass die Preise – etwa im Elektronikbereich – immer stärker sanken bzw. – etwa bei Molkereiprodukten – auf niedrigem Niveau stagnierten. Damit scheint nun erst einmal Schluss zu sein, wie ein Blick auf die Preislisten für Grafikkarten oder ins Butterregal zeigt. 

Doch Preiserhöhungen sind nicht so einfach durchzusetzen: Zum einen zahlen Verbraucher höhere Preise gerade im Food-Bereich grundsätzlich höchst unwillig, entsprechend liefern sich Lebensmitteldiscounter noch immer eine Schlacht – diesmal aber nicht um die niedrigsten, sondern um die am wenigsten steigenden Preise. Zum anderen sparen die Konsumenten mittlerweile spürbar und zwar vor allem an Produkten, die nicht unmittelbar benötigt werden – Spargel etwa oder Erdbeeren oder bestimmte Kleidungsstücke. „Das trifft vor allem den stationären Handel hart, der bereits sehr stark unter Corona gelitten hat“, ordnet Julian Harpf ein: „Der Einzelhandel hatte nach der Aufhebung der Pandemieauflagen auf eine Art ‚Sektkorkeneffekt‘ gehofft. Jetzt nehmen bei den Kunden die Geldsorgen durch die Energiepreise zu.“ 

Das Preisniveau betrifft aber nicht nur das Verhältnis von Handel und Endverbraucher, sondern ist zweitens auch Gegenstand der Verhandlungen zwischen Produzenten und Handel. Doch wie bestimmt sich der Ausgang der Gesprächsrunden, worauf beruht die Verhandlungsmacht eines Unternehmens? Im Handel ist die Größe ein wichtiges Kriterium, das heißt der Umsatz, die Dichte des Filialnetzes und die Zahl der Kunden bzw. die Nutzerzahlen im Onlinehandel. Auf Seite der Hersteller geht es eher um Verfügbarkeit und Substituierbarkeit ihrer Produkte: Wie knapp ist ein bestimmtes Gut? Hersteller von Elektronikchips und Baumaterialien haben gute Karten. Wie leicht lässt sich ein bestimmtes Produkt ersetzen? Das ist bei Dickmilch einfacher als beim neuen iPhone. 

Im Lebensmittelhandel können manche der größeren Ketten deshalb darauf bestehen, dass die langfristigen Verträge weiter gelten, müssen also Preiserhöhungen der Produzenten nicht akzeptieren. „Die Hersteller bleiben dann teilweise auf den gestiegenen Kosten sitzen“, berichtet Julian Harpf. Eine Situation, die sich für manche der Unternehmen durchaus existenzbedrohlich entwickeln kann. Der Handel ist allerdings nicht immer der Stärkere. In manchen Branchen liegt die Macht auf der Seite der Produzenten, die dann höhere Preise durchsetzen können. Auszubaden haben dies dann entweder die Händler selbst oder die Endkunden. Und bei gestiegenen Preisen ist mitunter nicht Schluss: Einige Hersteller nehmen zurzeit keine Neukunden mehr an. „Aufgrund der Rohstoffknappheit wollen sich diese Produzenten auf ihre Stammkunden konzentrieren, langfristige Geschäftsbeziehungen aufrechterhalten und dafür sorgen, dass die Stimmung dort nicht kippt“, erklärt IHK-Fachmann Harpf. Lieferengpässe können folgen. 

Und für Handel oder Hersteller gilt gleichermaßen: Nicht immer scheinen alle Preiserhöhungen akuter Notwendigkeit geschuldet zu sein. So nutzen manche Unternehmen die gegenwärtige Situation möglicherweise, um lange gehegte Pläne in die Tat umzusetzen oder spontan einen ordentlichen Schluck aus der Inflations-Pulle zu nehmen. Die Versuchung mag besonders groß sein, wenn der Staat – wie im Mineralölsektor geschehen – mit sinkenden Steuern lockt. Die Energiekonzerne können sich jedenfalls nicht darüber beklagen, dass sich ihre Gewinnsituation in den vergangenen Monaten signifikant verschlechtert hat. Andere Unternehmen sehen sich bemüßigt, klarzustellen, dass sie ihre Preise zwar über den aktuellen Bedarf erhöhen. Dies sei jedoch nur als Vorsichtsmaßnahme zu verstehen, um für die nächsten Monate und eine sich möglicherweise verschärfende Situation gerüstet zu sein. 

Julian Harpf: Konjunkturreferent bei der IHK Rhein-Neckar. Bild: IHK

 

Ob Preiserhöhungen nun berechtigt sind oder nicht, das Klima in den Verhandlungsrunden hat sich jedenfalls deutlich verhärtet. Das berichtet auch der Vertreter eines regionalen Industrieunternehmens, das selbst von steigenden Kosten betroffen ist: Man wolle ja eigentlich ein gutes Miteinander mit den langjährigen Lieferanten und Kunden. Doch jetzt fahre jeder am Tisch die Ellenbogen aus. Das sei für die Grundstimmung nicht gut. Andere berichten von lautstarken Wortduellen und abrupt abgebrochenen Telefongesprächen zwischen den jeweiligen Mitarbeitern in Vertrieb und Einkauf, die ja bereits unter normalen Umständen nicht unter einem zu geringen Selbstwertgefühl litten. 

Verhandlungsmacht kommt aber nicht nur in den Lieferketten, sondern auch im Rahmen der Tarifautonomie zum Tragen. Und hier sind die Sorgen der Unternehmen groß, dass die Inflation die Abschlüsse vergoldet. Deshalb haben manche Branchen die Tarifverhandlungen auf Ende des Jahres verlagert – in der Hoffnung, dass sich die Situation wieder etwas entspannt. Andere Branchen haben die Lohnabschlüsse durch Einmalzahlungen ersetzt. Es bleibt dennoch spannend. 

Zwar lastet auf den Gewerkschaften der Druck ihrer Mitglieder, Ausgleich für die Preissteigerungen zu schaffen und die Tarifverhandlungen hart zu führen. Deshalb werden die Gewerkschaften ihre Forderungen erhöhen. Allerdings ist auch der Arbeitnehmerseite bewusst, unter welchen Problemen das produzierende Gewerbe gerade leidet. Eine Lohn-Preis-Spirale will keiner. 

Die Unternehmen stellen wiederum einige Forderungen an die Politik, um die für sie schwierige Lage zu lindern: „Die Inflation, die wir jetzt haben, ist sehr stark den hohen Energiekosten geschuldet“, erklärt Julian Harpf. Und die hohen Energiekosten sind wiederum Folge der Abhängigkeit von russischen Rohstofflieferungen und der Diskussionen um ein Gas- und Ölembargo. Deshalb komme es darauf an, durch den Ausbau der erneuerbaren Energien sowie alternative Bezugsquellen schnell aus den Abhängigkeiten herauszukommen. Ebenso müsse die Zeit des billigen Geldes vorbei sein. Wenngleich sicherlich Augenmaß gefragt ist, um die Wirtschaft selbst nicht überschwer zu treffen, sollte die EZB rasch und entschieden handeln. 

Und dann sind da noch die alten Probleme: So belastet der Fachkräftemangel momentan unter anderem das Transportgewerbe sehr stark. Viele polnische Unternehmen beschäftigten ukrainische Fahrer, die jetzt fehlen. Das verschärft die Logistikprobleme, wie Julian Harpf schildert: „Selbst wenn die Ware produziert wird, ist es schwierig, sie von A nach B zu bringen.“ Und grundsätzlich sind viele staatlichen Verfahren noch immer zu langwierig. In der Wirtschaft macht sich das Gefühl breit, dass vieles nicht mehr so weitergehen könne wie in den Jahrzehnten zuvor. Gerade bei den verschiedenen Genehmigungsprozessen und beim Ausbau erneuerbarer Energien müsse nun mehr Tempo vorgelegt werden. 

Doch kurzfristig erwarten die wenigsten Unternehmen eine Besserung in der Lage. Das zeigt nicht nur die eingangs angeführte IHK-Umfrage. Aktuelle Prognosen gehen davon aus, dass die Inflationsraten im zweiten Halbjahr noch zunehmen werden. Denn in manchen Branchen sind die Preissteigerungen bislang noch nicht voll angekommen und werden erst in den kommenden Wochen und Monaten ihre Wirkung entfalten. Und damit wird auch die angespannte Lage der Unternehmen länger anhalten, als zunächst erwartet. 

Stefan Burkhardt