Blockchain und Bitcoin, das klingt für viele im besten Fall nach hochspekulativer Anlage, im schlimmsten Fall nach Ransomware und Waffenhandel. Doch die wirtschaftlichen Anwendungsmöglichkeiten sind viel breiter und oft weniger spektakulär. 

Es kann alles so einfach sein. „Bei einer Blockchain handelt es sich im Kern um eine neue Technologie, um Daten zu speichern“, erklärt Professor Philipp Sandner, Leiter des Frankfurt School Blockchain Centers: „Alles, was in einem Register abgelegt ist, lässt sich auch sehr gut in einer Blockchain abspeichern.“ Das beträfe zum Beispiel Geldschein- oder Handelsregisternummern. 

Grundsätzlich sind es vier zentrale Elemente, die eine Blockchain auszeichnen: Erstens werden die Daten in einer verteilten Datenbank gespeichert. Daher stammt der Name Blockchain: Eine Kette von Datenblöcken, die eine Historie von Transaktionen festhält und diese Historie den Teilnehmern des Systems zugänglich macht. Zweitens interagieren in diesem Netzwerk Menschen und Maschinen. Drittens gibt es den sogenannten dezentralen Konsensmechanismus, ein Algorithmus, der dabei hilft, Konflikte innerhalb des Netzwerks zu lösen. Viertens werden die Blöcke über kryptographische Funktionen verkettet und verschlüsselt. 

„Keines dieser Elemente ist neu, viele sind bereits seit den 1980er Jahren bekannt“, ordnet Blockchain-Fachmann Benedikt Notheisen, Leiter des Innolab Leben bei der Allianz, ein: „2008 wurden diese Bestandteile aber in der Bitcoin-Blockchain auf revolutionär neue Weise miteinander kombiniert.“ Bitcoin entstand als Reaktion auf die Finanzkrise 2007/2008. Die Initiatoren wollten ein System für Geldzahlungen erschaffen, das nicht von den Zentral- und Geschäftsbanken bestimmt wird, sondern die Macht dieser Institutionen auf eine größere Gemeinschaft verteilt. 

„Dieses komplett dezentrale System ist in der modernen Welt sehr ungewöhnlich“, wundert sich Philipp Sandner: „Ein Unternehmen hat eine Geschäftsführung oder einen Vorstand, eine Universität ein Präsidium, ein Land eine Regierung“. Bei Bitcoin gibt es keine zentrale Instanz, welche die Geschicke des Netzwerks orchestriert. Diese Eigenschaft beschränke staatliche Regulierungsmöglichkeiten. „Bitcoin kann von niemandem mehr ausgeschaltet werden. Das ist schon brillant“, erklärt Philipp Sandner. Um Missbrauch wie zum Beispiel Steuerbetrug oder Geldwäsche zu verhindern, setzten die Aufsichtsbehörden deshalb bei Börsen, Banken und Personen an, die mit dem Bitcoin-Netzwerk interagieren. 

Ein weiteres Kennzeichen von Bitcoin hängt eng mit der Dezentralität zusammen: die strukturelle Stabilität. Sandner berichtet: „Im Kern ist Bitcoin von damals noch immer Bitcoin von heute.“ Für eine langfristige Investition in Bitcoins (= Einheit des Zahlungssystems) sei die Stabilität von Bitcoin (= das Blockchain-System) entscheidend: Was in den letzten Jahren gut funktioniert habe, werde auch in den nächsten Jahren noch funktionieren. Deshalb diene die Kryptowährung heute – neben spekulativen Zwecken – vor allem der Wertaufbewahrung. 

Darin gliche der Bitcoin, so Sandner, dem Gold. Die Anzahl der Bitcoins ist durch die grundlegende Konfiguration des Netzwerks auf 21 Millionen beschränkt. „Man kann also nicht die Anzahl der Bitcoins einfach vergrößern, wie dies beim Euro im Laufe der letzten Jahre der Fall war“, führt Philipp Sandner aus. Auch Gold könne – wie viele andere Commodities – nicht einfach vermehrt werden. Zugleich sei Gold aber keine Währung: „Wir gehen nicht mit Gold einkaufen. Es liegt für schlechte Zeiten im Tresor. Im Geldbeutel haben wir Euro“, erklärt Philipp Sandner. Und so sei es auch bei Bitcoins: Mit Bitcoins würden Werte gespeichert, bezahlt werde nach dem Umtausch mit regulären Währungen. 

Eine Ausnahme ist El Salvador, wo der Bitcoin neben dem US-Dollar offizielles Zahlungsmittel ist. „Ich denke aber nicht, dass sich der Bitcoin grundsätzlich als Zahlungsmittel eignet. Es gibt – zumindest in Deutschland – zu wenig Akzeptanzstellen“, schränkt Sandner ein. Ein weiteres Gegenargument sei die hohe kurzfristige Volatilität des Bitcoins, die es schwer mache, Preise zu kalkulieren. Diese kurz- und mittelfristigen Schwankungen fielen bei Wertanlagen nicht so stark ins Gewicht, solange der langfristige Aufwärtstrend stimme. „Auch Gold unterliegt starken, kurzfristigen Kursschwankungen und der Kauf- und Verkaufspreis von Aktien steigt oder sinkt mit der Nachrichtenlage im Minutentakt“, erklärt Sandner. 

Bitcoin-Mining

Benedikt Notheisen sieht Bitcoin differenziert. Da ist zunächst die Tatsache, dass das System altruistisch aufgebaut ist: Die Nutzer müssen Energie investieren, damit Transaktionen abgewickelt werden können – ohne, dass sie davon direkt profitieren, falls sie nicht selbst eine Transaktion durchführen wollen. Deshalb führte man eine monetäre Belohnung für die sehr rechenintensiven Datenbank-Updates ein. Das Prinzip des sogenannten Bitcoin-Mining war geboren. Diese Belohnung sinkt aber mit der Zeit. Aus diesem Grund nehmen die Transaktionskosten zu. Durch den hohen Energiebedarf bei steigenden Energiepreisen wird dieser Effekt noch verstärkt. Darüber hinaus können über die Bitcoin-Blockchain im Vergleich zu anderen Zahlungssystemen nur wenige Transaktionen pro Stunde durchgeführt werden. Deshalb finden viele der Bitcoin-Transaktionen bereits außerhalb der Blockchain, zum Beispiel über Kryptobörsen, statt, wie Benedikt Notheisen erläutert: „Hier hat sich ein System entwickelt, das dem traditionellen Finanzsystem sehr ähnlich ist, nur ohne die bestehende Regulatorik, die uns als Endnutzer Sicherheit gibt.“ 

Die Blockchain-Technologie hat aber auch jenseits von Bitcoin einiges zu bieten. So planen viele Staaten und auch die EU digitale Währungen. Der Begriff sei jedoch, so Philipp Sandner, missverständlich: „Der entsprechende Staat schafft eigentlich eher eine neue technische Infrastruktur für monetäre Transaktionen“. Das Ziel sei es, dass sich Geld, vor allem grenzüberschreitend, wesentlich effizienter bewegen könne, etwa indem Transaktionskosten für Auslandsüberweisungen entfallen oder Geschäftsprozesse nahtloser stattfinden. 

Diese digitalen Währungen sind ein Beispiel für einen viel umfassenderen Trend, der in engem Zusammenhang mit der Blockchain-Technologie steht: die Tokenisierung. Tokenisierung bedeutet grundsätzlich, dass real existierende Dinge – wie Währungen oder Kunstwerke – als Kryptowerte digitalisiert und auf einer Blockchain als dezentral gespeicherte Vermögenswerte abgebildet werden. So können nicht nur Eigentums- und Besitzverhältnisse dokumentiert und der digitale Austausch vereinfacht, sondern auch bestimmte Assets vielen Anlegern zugleich zugänglich gemacht werden. Die Tokenisierung erlaubt zum Beispiel die Aufspaltung einer Immobilie in kleinere Anteile. Jeder Anleger investiert dann nach seinen Möglichkeiten und mit der Freiheit, auch wieder problemlos verkaufen zu können. Diese Geldanlage ist besonders attraktiv, weil das investierte Kapital nicht spekulativ angelegt wird, sondern in Sachwerte, die auch in Zeiten der Inflation einen passablen Werterhalt bieten. 

Einsatz von Blockchains in der Wirtschaft zu prüfen

Welche Herausforderungen der Einsatz der Blockchain im wirtschaftlichen Bereich bieten kann, zeigt hingegen die vor einigen Jahren formulierte Vision der Blockchain-basierten Autoversicherung: Im durch Sensoren gemeldeten Schadensfall sollten die Kraftfahrzeuge selbstständig Kontakt mit ihren Versicherungen aufnehmen und die Schäden automatisch regulieren. Versicherungsmann Benedikt Notheisen sieht keine Möglichkeit, entsprechende Ansätze zu verwirklichen. In einer Blockchain wie Bitcoin würde nämlich die Frage nach korrekten Daten durch Transparenz gelöst und somit hätten alle Kunden Einblick in die Schadensfälle anderer Kunden. Im Versicherungswesen sei es jedoch überaus wichtig, Kundendaten zu schützen und sicher zu speichern. Deshalb sei es zunächst notwendig, alle technischen Details eingängig zu untersuchen. In einem zweiten Schritt gelte es dann zu überlegen, für welche Probleme sich die Blockchain als Lösung überhaupt anbiete. Sinnvoll sei ein Einsatz, wenn mehrere Parteien in interaktionsbasierten Kontexten aufträten, Konflikte zwischen diesen Parteien im digitalen Raum automatisiert geklärt werden sollten, und die zentrale Lösung dieser Konflikte bislang mit hohen Kosten verbunden sei. 

Grundsätzlich träfen diese Kriterien auf den Versicherungsbereich zu, und es gebe bei der Allianz Lösungen, bei denen die Blockchain erfolgreich eingesetzt werde. Herausforderungen sieht Notheisen aber an der Schnittstelle zwischen echter und digitaler Welt, wo auch falsche Informationen übermittelt werden könnten. Deshalb komme dem Vertrauen zwischen den einzelnen Vertragsparteien in der realen Welt große Bedeutung zu. Die Blockchain-Technologie könne dieses Vertrauen nur innerhalb der digitalen Welt ersetzen. Und der Mensch spiele im Versicherungswesen noch an einem anderen Punkt eine wichtige Rolle, wie Notheisen berichtet: „Die menschliche Interaktion ist gerade bei Schadensfällen mit ihren physischen Verletzungen und psychischen Belastungen unersetzlich. Es kann viel passieren, dem die Technik nicht gerecht werden kann.“ 

Auch viele andere Blockchain-Visionen der letzten Jahre benötigen wohl noch einige Zeit, bis sie realisiert werden können. Während der Bereich Kryptowährungen uneingeschränkt wächst, treten vor allem die Unternehmensanwendungen auf der Stelle. Die Gründe kennt Philipp Sandner: „In der Industrie wird das Thema Blockchain oft nicht richtig verstanden. Das ist zum einen Folge der komplizierten Technologie und des mangelnden Fachwissens, zum anderen fehlt häufig aber auch die Offenheit auf der Führungsebene.“ Die Kryptonetzwerke würden hingegen von zahlreichen jungen Menschen mit hohem Engagement in flachen Hierarchien programmiert. 

Auch Benedikt Notheisen zweifelt an raschen Erfolgen jenseits der Kryptowährungen: „Ich sehe die Vorteile der Blockchain-Technologie eher auf einer infrastrukturellen Ebene, bei der Ergänzung bestehender Systeme. Bitcoin zeigt: In der geschickten Neukombination vorhandener Elemente eröffnen sich gute Perspektiven einer effizienten und nachhaltigen wirtschaftlichen Anwendung.“ 

Stefan Burkhardt; Bild: Pixabay