Zum 20-jährigen Jubiläum der Metropolregion Rhein-Neckar (MRN) blicken Ralph Schlusche, Peter Johann und Kirsten Korte als Führungsspitze der zentralen Institutionen auf Meilensteine, Herausforderungen und Zukunftsziele. Ralph Schlusche ist Verbandsdirektor des Verbands Region Rhein-Neckar (VRRN) und bildet mit Peter Johann zudem die Geschäftsführung der Metropolregion Rhein-Neckar GmbH. Mit Kirsten Korte agiert Johann zudem in der Geschäftsführung des Vereins Zukunft Metropolregion Rhein-Neckar (ZMRN). Gemeinsam stellen sie sich den Fragen von econo rund um den 20. Geburtstag der Metropolregion.
Die Metropolregion Rhein-Neckar feiert 2025 ihr 20-jähriges Bestehen. Was bedeutet dieses Jubiläum für Sie persönlich und für die Region insgesamt?
Kirsten Korte: Das vertrauensvolle Zusammenwirken zwischen Wirtschaft, Verwaltung und Wissenschaft, um die Zukunftsfähigkeit einer Region zu sichern, ist absolut nicht selbstverständlich. Für mich ist es in erster Linie eine Gelegenheit unseren Partnern aus den verschiedenen Bereichen zu danken, dass wir unseren Lebens- und Wirkungsraum gemeinsam gestaltet haben und hoffentlich auch weiterentwickeln. Wir alle zusammen sind Metropolregion.
Ralph Schlusche: Rhein-Neckar hat sich seit der der Ernennung zur Metropolregion 2005 kontinuierlich weiterentwickelt. Die institutionalisierte Zusammenarbeit über administrative Grenzen hinweg hat es ermöglicht, zahlreiche innovative (Modell-)Projekte umzusetzen und die vorhandenen regionalen Stärken in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur weiter auszubauen – zum Wohl von Unternehmen wie auch Bürgerinnen und Bürgern.
Peter Johann: Die dauerhafte Dynamik über zwei Jahrzehnte hinweg hat mich schon beeindruckt. Vor 20 Jahren hat so mancher das Thema Metropolregion belächelt – zu Unrecht, wie wir heute feststellen. Ohne überheblich klingen zu wollen: In so einer langen Zeitspanne finden Sie viele Initiativen, Kollaborationen oder visionäre Ideen, denen keine stabile und langfristige Tragfähigkeit gelingt. Wir haben es geschafft, die Region – gerade auch im Wettbewerb – als feste Konstante zu etablieren.
Wenn Sie auf die letzten zwei Jahrzehnte zurückblicken: Was waren für Sie die wichtigsten Meilensteine in der Entwicklung der MRN?
Schlusche: Alles begann mit der Idee. Und es war damals im Jahr 2005 eine Zeit mit einer unglaublichen Aufbruchsstimmung und einer großen Einigkeit und Überzeugung, dass wir hier in der Metropolregion Rhein-Neckar zusammen und gemeinsam unser Schicksal in die Hand nehmen wollen und werden. Mit der Unterzeichnung des Staatsvertrages und der Ernennung zur „europäischen Metropolregion“ wurde dazu das starke Fundament gelegt. Und inhaltlich haben wir seitdem unglaublich viele Meilensteine erreichen können.
Korte: In meinen Augen ist einer der größten Erfolge, dass wir den Willen und diese Aufbruchstimmung aus der Gründungszeit bei handelnden Personen und beteiligten Institutionen gefestigt und ausgebaut haben. Das Commitment zur Region, dass wir in dieser wirtschaftsstarken Region uns über Ländergrenzen hinweg in allen Sektoren gemeinsam weiterentwickeln wollen und dabei auch am Zusammenhalt und der Identität zur Region arbeiten.
Johann: Und gemeinsam erzielt man dann eben auch viele schöne Erfolge, wie beispielsweise die Aufstellung des einheitlichen Regionalplans für die ganze Region, das Einwerben von Fördermitteln für innovative Projekte, zum Beispiel im Bereich Digitalisierung und Wasserstoff. Was uns dabei stark macht, ist nicht ein einzelner Meilenstein, sondern die institutionelle Lernkurve und das Denken im Verbund.
Welche Projekte oder Initiativen sind für Sie besondere Erfolgsgeschichten, auf die Sie besonders stolz sind?
Schlusche: Wir sind auf jede einzelne Erfolgsgeschichte besonders stolz. Denn jede einzelne macht unsere Metropolregion zu dem, was sie ist – ein unglaublich attraktiver Lebens- und Arbeitsraum.
Johann: Was einem besonders im Gedächtnis bleibt, sind daher neben den großen, erfolgreichen Meilensteinen auch insbesondere die kleineren, die persönlichen Geschichten und das vertrauensvolle, Miteinander in der Region. Dass wir über Jahre hinweg belastbare Netzwerke aufgebaut haben, auf denen strategisch aufgebaut werden kann, ist ein zentrales Pfund für die Zukunft.
Korte: Als Geschäftsführerin des ZMRN bin ich zunächst insbesondere auf unseren Verein, unsere Mitglieder und die dadurch entstandenen Beziehungen und Kooperationen besonders stolz. Und natürlich auch auf die Freiwilligentage der MRN. Alle zwei Jahre mobilisiert „wir-schaffen-was“ seit 2008 Tausende Menschen, sich ehrenamtlich für die Gemeinschaft einzusetzen. Das ist bundesweit einmalig.
Johann: Die Region ist auch bei der Bewerbung um große nationale und internationale Veranstaltungen erfolgreich gewesen, beispielsweise dem Digitalgipfel der Bundesregierung 2017 oder dem Internationalen Deutschen Turnfest 2013.
Wo gab es aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen – und wie wurden diese gemeistert?
Schlusche: Wir haben vorhin schon den großen Geist der Zusammenarbeit erwähnt. In der Fachsprache würde man es eventuell unsere „besondere regionale Governance“ nennen. Das ist unser Ansatz, um auch aufkommende Herausforderungen zu meistern. Welche Herausforderungen das so waren? Beispielsweise Mobilitätsinfrastruktur – wir sind dicht besiedelt und es gehen bundesdeutsch relevante Autobahnen direkt durch unseren Kernraum.
Johann: Krisen wie die globale Finanzkrise, die Pandemie oder der Ukrainekrieg wirken bis in die Region. Die Fähigkeit, als strukturstarker, vernetzter Raum robust zu reagieren, hat sich in diesen Phasen als echter Standortvorteil erwiesen. So wird Regionalentwicklung zum echten Stabilitätsanker.
Korte: Dass die MRN sich über Teilbereiche dreier Bundesländer verteilt, ist beim Initiieren und Ausrollen von Projekten nach wie vor Chance und Herausforderung zugleich. Diese besonderen Voraussetzungen in möglichst allen Themenfeldern immer unter einen Hut zu bekommen, ist Kärrnerarbeit, sprich Regionalentwicklung ist eben nicht immer sofort für jeden sichtbar erfolgreich, sondern braucht einen langen Atem.
Was hätten Sie gern umgesetzt gesehen und hat bis dato noch nicht funktioniert?
Schlusche: Als Thema ist hier eventuell die Geschwindigkeit der Umsetzung insbesondere bei infrastrukturellen Großprojekten zu nennen. Klar müssen Tempo und Sorgfalt immer in einer optimalen Waagschale gehalten werden. Daher ist manchmal – gerade in der Regionalplanung – die Zeit einfach notwendig, um belastbare Pläne zu erarbeiten.
Johann: Gerade bei den für die Region wichtigen Infrastrukturmaßnahmen wünschen wir uns mehr Geschwindigkeit. Erste Impulse durch Landesregelungen sind erkennbar, aber noch nicht ausreichend. Wir brauchen mutigere Entscheidungen, wenn wir als Wirtschaftsstandort zukunftsfähig bleiben wollen.
Korte: Ganz richtig. Möglicherweise würden wir auch schneller und agiler agieren können, wenn wir Aufgaben noch besser verteilen würden und nicht jeder alles selbst erledigen müsste.
Die MRN ist länderübergreifend organisiert. Wie hat sich die Zusammenarbeit zwischen Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz in den letzten 20 Jahren entwickelt – und was kann noch besser werden?
Schlusche: Die Länder sind aktiv im Gespräch mit uns und es herrscht mit den Staatskanzleien und mit den jeweiligen Fachministerien ein reger sowie regelmäßiger Austausch. Diese gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit wird auch vom Besuch der drei Ministerpräsidenten bei unserem Festakt zum Jubiläum im September unterstrichen.
Johann: Aktuell sind wir im Gespräch mit den drei Ländern, ob sie uns zukünftig stärker als Erprobungsraum, also als Reallabor für Deutschland, nutzen wollen, in dem neue Trends, Technologien und Prozesse getestet werden. Das würde Innovationen beschleunigen und bundesweite Modellwirkung entfalten. So verstehen wir unseren strategischen Anspruch.
Korte: Ja, wenn es bei uns im Zusammenspiel von Kommunen, der Wirtschaft, Wissenschaft und den drei Bundesländern erfolgreich erprobt wurde und funktioniert – dann könnte man es auch gut auf andere Gebiete in Deutschland ausrollen. Aber es gibt ganz bestimmt noch Potenzial in der interkommunalen Zusammenarbeit und dem Nutzen von digitalen Prozessen.
Wie gelingt es, trotz unterschiedlicher Interessen und Strukturen eine gemeinsame Identität und Strategie für die Region zu schaffen?
Korte: Es hat sich – wie schon gesagt – eine besondere Form der engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit etabliert. Über Branchen- und Sektorengrenzen hinweg sind wir im stetigen Austausch. Im Dialog mit unseren Mitgliedern, ob bei der Mitgliederversammlung im März diesen Jahres oder bei kleineren Netzwerkveranstaltungen, schaffen wir immer wieder die Verbindung und legen den Grundstock für Kooperationen.
Schlusche: Sowohl in der Verbandsversammlung als auch im Vorstand des ZMRN sind Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft eng beisammen, um auf Basis dieser gemeinsamen Gremien und im kontinuierlichen Austausch regionale Herausforderungen zu identifizieren sowie strategische Lösungen und Entscheidungen zu entwickeln.
Johann: Gemeinsame Strategie entsteht, wenn wirtschaftliche Potenziale, gesellschaftlicher Zusammenhalt und Lebensqualität konsequent zusammen gedacht werden. Wenn alle Akteure an einem Strang ziehen – dann entsteht Identität. Genau das ist unser Anspruch.
Wie profitiert die regionale Wirtschaft konkret von der Metropolregion – und wo sehen Sie noch Potenzial für Verbesserungen auch mit Blick auf Deutschland und Europa?
Johann: Die regionale Wirtschaft steht – wie die Wirtschaft in anderen Teilen Deutschlands und der Welt – vor globalen Herausforderungen wie Klimawandel, Transformation der Energieversorgung und Einfluss durch Künstliche Intelligenz. Die Diversität unserer Akteure – von Dax-Konzernen über mittelständische Betriebe bis hin zu agilen Startups – und deren engmaschige Vernetzung und Zusammenarbeit schafft hier Lösungskompetenz.
Schlusche: Und Lösungen, die in diesem Ökosystem gefunden werden, werden dann auch immer regional kommuniziert. Oder es werden regionalbedeutsame Handlungsfelder definiert und dort Marktaktivierung beziehungsweise die Grundlagen für wirtschaftliche Tätigkeit gelegt sowie Unternehmen für diese Zwecke neu vernetzt und in Projektarbeit eingebunden.
Korte: Wir dürfen nicht aufhören, uns weiterzuentwickeln. Transformation bedeutet Veränderungen, aber wir sollten sie jetzt aktiv gestalten. Die Voraussetzungen sind da. Und dabei sollten wir die Rahmenbedingungen wie Sport, Kultur, Vereinsleben und Natur nicht vernachlässigen. Denn dort, wo man arbeitet, sollte es sich auch gut leben lassen. Da haben wir einiges zu bieten und das gilt es auf allen Kanälen zu verbreiten.
Mit Blick auf die nächsten 20 Jahre: Welche strategischen Ziele verfolgen Sie für die MRN?
Schlusche (schmunzelnd): Wir wollen immer einen Schritt schnell und besser sein als andere Regionen, soviel kann man zum Blick in die nächsten 20 Jahre sicher sagen. Aber inhaltlich können wir bei den vielen schnellen und teilweise auch disruptiven Entwicklungen auf der Welt nur auf einen engeren Zeitraum wie die nächsten fünf Jahre schauen.
Johann: Und in diesem Zeitraum fokussiert sich unsere Agenda auf vier Handlungsfelder: Infrastruktur, Innovation, Arbeit und Verwaltung In diesen Bereichen entscheidet sich die Wettbewerbsfähigkeit unserer Region.
Was braucht es, um diese Ziele zu erreichen?
Korte: Einsatz. Von allen Akteuren in der Region gemeinsam. Nicht mehr und auch nicht weniger. Wir werden die Themen in unterschiedlicher Art und Weise bearbeiten, aber am wichtigsten ist dabei, dass wir uns aus unseren unterschiedlichen Blickwinkeln und unseren unterschiedlichen Möglichkeiten heraus alle gemeinsam für die Zukunft der Region einsetzen.
Johann: Wir brauchen starke, regional verankerte Strukturen, die eigenständig agieren können – über Institutionen hinaus. Regionales Denken muss noch stärker in konkretes regionales Handeln übersetzt werden – das erfordert auch neue Freiräume und Verantwortlichkeiten.
Gibt es bereits neue Projekte oder Initiativen, die Sie in den kommenden Jahren besonders vorantreiben möchten?
Schlusche: Es ist einiges in Planung, wie die Fortschreibung des einheitlichen Regionalplans oder der Ausbau der regionalen Dateninfrastruktur.
Johann: Auch Zukunftsthemen wie Wärmeinfrastruktur oder eine mögliche CCS-Allianz MRN (Carbon Capture and Storage) werden wir strategisch in den Blick nehmen. Neue Wege entstehen beim Gehen – lassen Sie sich überraschen.
Korte: Neben allem Neuen bleibt es auch immer eine große Aufgabe und Verpflichtung zugleich, unsere Partner aus Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft und auch der organisierten Zivilgesellschaft, wie beispielsweise die zahlreichen Stiftungen, weiter mit Engagement in unsere Arbeit einzubinden und vor allem neue Mitstreiter zu finden.
Wie nehmen die Bürgerinnen und Bürger die Entwicklung der MRN in Ihren Augen wahr?
Korte: Unsere Arbeit und unsere Struktur sind nicht unbedingt leicht zu verstehen. Deshalb müssen wir stetig daran arbeiten, was wir bewirken und welchen Nutzen die Bürgerinnen und Bürger davon haben. Nicht alles wirkt sich direkt auf das persönliche Umfeld aus, aber zum Beispiel verbinden viele Einwohnerinnen und Einwohner die MRN mit den Freiwilligentagen oder kennen unsere Autobahnschilder. An der einfachen Vermittlung der Inhalte müssen wir weiter arbeiten.
Schlusche: Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Wir haben ein unglaublich erfolgreiches Netzwerk der Touristikerinnen und Touristiker aus der gesamten Region. Wir organisieren mehrmals pro Jahr treffen mit branchenaktuellem Input, wir arbeiten am Aufbau einer regionalen Dateninfrastruktur mit allen Daten aus dem Tourismus und der Kulturbranche. Aber wir müssen dazu keine eigene Destination sein, sondern wir wollen, dass die Branche in unserer Region insgesamt profitiert – wir wollen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit für die Sache und die Menschen. Hierdurch entsteht tatsächlich ein gemeinsames und gesamtregionales Bewusstsein.
Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf, um die Identifikation mit der Region weiter zu stärken?
Korte: Wie gesagt, wir müssen die Mehrwerte unsere Arbeit allen Beteiligten und der Bevölkerung weiterhin plakativ erklären und zeigen. Das Jubiläumsjahr ist in jedem Fall auch eine gute Möglichkeit, darüber zu sprechen, was wir tun und Danke zu sagen.
Was wünschen Sie sich persönlich für die Zukunft der MRN Rhein-Neckar und gibt es eine Botschaft, die Sie den Menschen und Unternehmen der Region zum Jubiläum mitgeben möchten?
Schlusche: Unabhängig der Themen, die zukünftig aktuell sein werden, wünsche ich mir, dass unsere Metropolregion mit den vielen engagierten Menschen durch Innovation, Mut und Geschlossenheit immer mindestens einen Schritt voraus ist und somit wir und auch die folgenden Generationen gerne und gut hier leben und arbeiten.
Johann: Uns fehlt es nicht an Substanz, wohl aber noch an überregionaler Sichtbarkeit. „Tue Gutes und sprich darüber“ bleibt aktuell. Wenn jeder Akteur – von der Kommune bis zum Konzern – die Region immer wieder sichtbar macht, wird daraus ein kraftvoller Kommunikationsmotor.
Korte: Wünschenswert wäre die Fortsetzung der guten Zusammenarbeit in der Region und weitere Mitstreiter zu motivieren, sich für die Region einzubringen. Und dazu gibt es viele Möglichkeiten, zum Beispiel (lächelt verschmitzt) Mitglied im ZMRN zu werden und damit die Arbeit der MRN aktiv zu unterstützen. Denn es bleibt dabei – die Metropolregion Rhein-Neckar ist eine Gemeinschaftsaufgabe.
Mehr zum Jubiläum der Metropolregion Rhein-Neckar gibt es in der aktuellen econo-Ausgabe sowie hier.