Erneuerbare Energie: Die Bürgerwerke gibt es in Heidelberg seit 2013. Ein Erfolgsmodell, denn die Dachgenossenschaft konnte inzwischen über 125 Bürger-Energiegenossenschaften als Mitglieder gewinnen. Motto: „Energiewende in Bürgerhand“.
Von Ingo Leipner
Gut gelaunte Menschen stehen auf einer grünen Wiese, sie lachen und winken fröhlich in die Kamera. Dafür haben sie allen Grund, die Mitglieder der Bürger-Energiegenossenschaft (BEG) Kraichgau. Sie haben sich in einem Solarpark versammelt, den sie selbst bauen. Name des Projekts: „Bürger.Solarpark Eppingen“. Blaue Solarmodule ziehen sich durch eine hügelige Landschaft, gelber Raps leuchtet hell im Hintergrund – und es gibt einen Gruß aus der Vergangenheit. Neben den Modulen befindet sich ein kleines Windrad, das drei Flügel hat, wie einst im Wilden Westen.
Herbst 2025 soll es so weit sein. Dann geht der Solarpark ans Netz, die PV-Freiflächenanlage wird auf 35 Hektar für mehr als 21 000 Haushalte Strom produzieren. Darüber freut sich Florian Oeß, Vorstandsmitglied der BEG Kraichgau. Er erklärt einen wichtigen Vorteil des Solarparks: „Statt Geld für fossile Energieträger wie Gas und Kohle in ferne Länder zu überweisen, bleibt das hier verdiente Geld in der Region.“ Stichwort: regionale Wertschöpfung. Außerdem ist der Strom aus der PV-Freiflächenanlage günstig: Die Produktionskosten seien „zwischen fünf und sechs Cent pro Kilowattstunde aktuell die günstigsten im Süden Deutschlands, gefolgt von Windkraftanlagen“, so Oeß.
Um dieses große Vorhaben zu stemmen, haben sich fünf Bürger-Energiegenossenschaften in einer Projektgesellschaft zusammengeschlossen, unter der Führung der BEG Kraichgau. Diese Gesellschaft wird ihren Sitz vor Ort haben, um zur regionalen Entwicklung einen Beitrag zu leisten – und Steuern in Eppingen zu bezahlen. Ein weiterer Aspekt: Der Solarpark braucht keinerlei Fördermittel.
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„Regionale Wertschöpfung“
Ein Beispiel aus Baden-Württemberg: Früher kaufte Mauenheim für fast 500 Einwohner Energie im Wert von 300 000 Euro ein – das waren im Jahr 300 000 Liter Heizöl und 500 000 Kilowattstunden Strom. Heute ist Energie kein Kostenfaktor mehr, im Gegenteil: Das Dorf verdient jetzt 600 000 Euro, weil es Strom verkauft. Was war geschehen? Am Ortsrand entstand eine Biogasanlage, die jährlich 5,6 Millionen Kilowattstunden Strom produziert.
Mit doppeltem Nutzen: Die Anlage arbeitet mit Kraft-Wärme-Kopplung, so dass die Einwohner ihre Heizenergie über ein lokales Wärmenetz beziehen. Falls es im Winter besonders kalt wird, schalten sie einfach eine Holzhackschnitzel-Anlage dazu. Eine Photovoltaik-Anlage rundet das Angebot an Erneuerbarer Energie ab – und unterm Strich produziert das Dorf achtmal mehr Strom, als es selbst verbraucht.
Und: Der Wärmebedarf ist völlig gedeckt. Außerdem stammen alle Rohstoffe zum Betrieb der Anlagen aus der eigenen Umgebung: Landwirte bauen Energiepflanzen an, der Kuhmist von 150 Rindern wird in der Biogasanlage verwertet. Und die Holzhackschnitzel kommen aus dem kommunalen Wald.
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Eine Kooperation wie in Eppingen? Das haben sich generell die Bürgerwerke in Heidelberg auf die Fahnen geschrieben. Sie sind eine Dachgenossenschaft, deren Mitglieder über 125 Bürger-Energiegenossenschaften mit rund 50 000 Aktiven sind. Inzwischen entstand auf diese Weise das größte deutsche Netzwerk für Energiegenossenschaften. „Wir sind ein Sozialunternehmen, das mit wirtschaftlichen Mitteln versucht, ein gesellschaftliches Problem zu lösen“, sagt Christopher Holzem, Mitglied der Geschäftsleitung.
Die Wurzeln solcher Gedanken reichen weit in die Vergangenheit: Friedrich-Wilhelm Raiffeisen entwickelte im 19. Jahrhundert eine neue Wirtschaftsform, die Genossenschaft. Sie baute auf einer solidarisch-demokratischen Selbsthilfe auf. Es ging um eine lokale Kooperation, damit Menschen vor Ort einen gemeinsamen Vorteil erwirtschaften. Heute heißt das „regionale Wertschöpfung“ – ein Gedanke, den Raiffeisen so formuliert hat: „Das Geld des Dorfes, dem Dorfe“.
Diese Idee lebt in den Energiegenossenschaften wieder auf. Ihr Ziel: Was an Energiekosten in einer Region entsteht, soll den Menschen zugutekommen, die vor Ort in Wind- oder Solaranlagen investieren. Energiegenossenschaften arbeiten mit einem lokalen Fokus. Mögliche Gewinne wandern nicht ab, wie es bei großen Projektentwicklern sein kann. Das ist wichtig, wie ein Beispiel aus dem hessischen Odenwald zeigt: Erst standen viele Bürger Windrädern kritisch gegenüber, dann drehte sich der Wind. Das geschah in den Gemeinden Seeheim-Jugenheim, Modautal und Mühltal. Der Grund: Die Einwohner bekamen die Gelegenheit, sich finanziell an einem neuen Windrad zu beteiligen.
Das machte die „Energiegenossenschaft Starkenburg“ möglich. 1230 Menschen aus der Region investierten in das Projekt „WindSTARK 1“, etwa die Hälfte von ihnen lebt in der unmittelbaren Umgebung. Getreu dem Motto der Energiegenossenschaft: „Wer auf ein Windrad schaut, der soll auch den Nutzen haben.“ Seit 2011 dreht sich das Windrad auf der „Neutscher Höhe“. Bis 2018 kamen sechs weitere Windprojekt dazu, „WindSTARK 2“ bis „WindSTARK 7“. Die Genossenschaft ist direkt an drei Bürgerwindrändern beteiligt, die sie auch eigenverantwortlich betreibt.
Solche Projekte aus der Metropolregion Rhein-Neckar zeigen, dass ein Perspektivwechsel sinnvoll ist. So schreiben Florian Witzler und Gregor Dilger im Auftrag der „Agentur für Erneuerbare Energien“: „Die Energieversorgung für die Regionen wird von einem Kostenpunkt zu einer wichtigen Einnahmequelle.“ Regionale Wertschöpfung vereine den „privatwirtschaftlichen und kommunalpolitischen Nutzen“, wenn der Umstieg auf Erneuerbare Energie gelingt. „Je größer die privatwirtschaftliche Wertschöpfung ist, desto mehr nehmen die kommunalen Gebietskörperschaften über Steuern und Abgaben ein“, so Witzler und Dilger.
Privatwirtschaftlicher Nutzen? Ihn erzielen auch Energiegenossenschaften: Die Beteiligung der Mitglieder besteht immer aus Geschäftsanteilen und Darlehen. So konnten sich die Bürger im hessischen Odenwald am Projekt „SolarSTARK 6“ ab 2000 Euro beteiligen: Als Mitglied der Genossenschaft erwarben sie zwei Geschäftsanteile à 100 Euro und gaben dem Solarprojekt ein Darlehen von 1800 Euro, die verzinst werden, bei einer Laufzeit von 20 Jahre. Eine langfristige und nachhaltige Geldanlage, um einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.
Zu dieser Philosophie gehört auch, dass in der Generalversammlung jedes Mitglied genau eine Stimme hat, unabhängig von der Zahl seiner Geschäftsanteile. So entscheidet die Generalversammlung, in welcher Höhe Zahlungen an die Mitglieder erfolgen, wenn es einen Gewinn gibt. Diese demokratischen Grundregeln sollen verhindern, dass einzelne Interessengruppen zu viel Macht erhalten, oder eine „externe Übernahme“ stattfindet.
Ganz klar: Energiegenossenschaften sind Wirtschaftsbetriebe, die professionell zu führen sind. Da leisten die Bürgerwerke als Dachgenossenschaft viel, damit vor Ort gute Arbeit möglich ist. „Wir wollen die Kraft der Gemeinschaft nutzen“, so Christopher Holzem. Er nennt als Beispiel „geteilte Personalressourcen“: Wenn vor Ort eine Genossenschaft einen neuen Tarif einführen will, kann sie sich an die Bürgerwerke wenden, um deren Know-how abzurufen. Schon ist der Tarif viel einfacher erstellt.
Expertise und Finanzkraft der Dachgenossenschaft sind auch gefragt, wenn es um PV-Freiflächenanlagen geht. 2023 wurde die Projektgemeinschaft für “Freiflächen in Bürgerhand” ins Leben gerufen, inzwischen beteiligen sich 13 BEG, die Mitglieder bei den Bürgerwerken sind.
Diese Solarprojekte setzen Genossenschaften um, die Potential und Bedarf n ihrer Region am besten kennen. Sie sorgen dafür, dass die Freiflächenprojekte vor allem mit lokalen Betrieben und Kommunen realisiert werden – und die Einwohner vor Ort die Möglichkeit bekommen, sich über lokale Energiegenossenschaften zu beteiligen.
Was trägt die Dachgenossenschaft bei? Sie übernimmt bei der Projektentwicklung Planung und Kosten. Zudem leisten die Bürgerwerke eine Anschubfinanzierung für die Freiflächen-Initiative, die sich in den nächsten Jahren wirtschaftlich selbst tragen soll.
„Wir haben aber immer noch ein Akzeptanz-Problem“, sagt Juna Schönborn, Referentin Unternehmenskommunikation. Daher sieht sie für die Bürgerwerke eine weitere wichtige Aufgabe: „Erklären, Mitnehmen, Beteiligen“. Das stärke auch die Demokratie in schwierigen Zeiten, weil Bürger vor Ort aktiv werden, um ihre persönliche Umwelt zu gestalten und einen ökonomischen Nutzen zu haben. „Solarparks in Bürgerhand sind durch und durch demokratische Projekte“, so Schönborn.
Doch ihre Dachgenossenschaft koordiniert nicht nur Aktivitäten der Mitglieder, sie ist gleichzeitig ein großer Anbieter von „Bürgerstrom“. Das Konzept: Strom-Kunden unterstützen die beteiligten Genossenschaften mit 0,5 Cent je Kilowattstunde, produziert in regionalen Anlagen in Bürgerhand. 100 Prozent Ökostrom aus Sonne, Wind und Wasser.
Die Bürgerwerke verkaufen auch „BürgerÖkogas“, mit einem Biogas-Anteil von 5, 10 und 100 Prozent. Bei diesem Produkt fließen 0,3 Cent pro Kilowattstunde an die genossenschaftlichen Mitglieder. Das bedeutet: Rund 40 000 Energiekunden waren bisher bereit, über zwei Millionen Euro den Bürgerwerken zur Verfügung zu stellen, um die über 125 Mitgliedsgenossenschaften zu unterstützen. Dabei ging es immer um Investitionen in Erneuerbare Energie.
Fazit: Die wirtschaftlichen Vorteile sind groß, wenn Regionen auf Erneuerbare Energie setzen, besonders in der Hand von Bürger-Energiegenossenschaften. Wer regionale Wirtschaftskreisläufe stärken will, baut Windparks und Solaranlagen. Ökonomie und Ökologie gehen Hand in Hand; Wohlstand und Klimaschutz sind kein Widerspruch. Daher meint Christopher Holzem schmunzelnd: „Im Hauptjob Weltrettung zu betreiben, ist eine schöne Arbeit“.
Bild: Florian Oeß / Alexander Heimann