Vielleicht ist es das Auge des Sturms. Im November 2022 brach sich ChatGPT weltweit wie eine Naturgewalt Bahn. Die neue generative KI versprach kurzfristig gewaltige Umwälzungen, doch inzwischen wurde es wieder ruhiger. „Die bisherige Resonanz auf generative KI entspricht dem klassischen Hype-Zyklus, wonach wir die kurzfristigen Auswirkungen einer neuen Technologie massiv überschätzen, während wir ihre langfristigen Konsequenzen meist unterschätzen“, erklärt Nicolai Freiwald, Leiter des Bereichs Innovation, Umwelt und Energie (IHK Rhein-Neckar).
Die KI schläft also nicht, sie macht sich vielmehr daran, die gesamte Wirtschaft grundsätzlich zu verändern. Freiwald kann bereits einige Elemente dieser produktiven Anwendung erkennen: So erlaube es zunehmend die Multimodalität generativer KI, Text-, Audio- und Videoinhalte zu verschmelzen. Im Softwarebereich würden immer mehr KI-Assistenzsysteme in Standardanwendungen integriert. Und schließlich zeichne sich ab, dass KI die Robotik in ganz neuer Weise befördere.
Doch was ist KI überhaupt? KI ist ein Teilgebiet der Informatik. KI imitiert menschliches Denken, indem sie die Muster eingegebener Informationen erkennt und sortiert. Im Falle des maschinellen Lernens lernt eine KI selbstständig, mit unvorhergesehenen Ereignissen umzugehen. Die Algorithmen (die automatisierten Anweisungen, nach denen eine KI vorgeht) lernen aus den Daten. Sie sind heute oft durch Nervenzellenverbindungen im menschlichen Gehirn inspiriert.
So entstehen künstliche neuronale Netze von beachtlicher Komplexität und Leistungsfähigkeit („Deep Neural Networks“). Wie genau eine solche KI lernt und weshalb genau sie ihre Aufgaben häufig so gut erfüllt, ist nicht immer nachvollziehbar („Deep Learning“).
Statt ein Muster zu erkennen, kann eine KI aber auch ohne Weiteres ein Muster aus den Trainingsdaten „herstellen“. Das ist der Bereich der generativen KI, dem ChatGPT zuzuordnen ist oder all die Anwendungen, die Bilder, Musik und Sprache generieren. Solche Modelle „wissen“ und „verstehen“ aber eigentlich nichts. Sie können nicht unterscheiden, ob eine Aussage richtig oder falsch ist. Sie erfüllen ihre Aufgaben aufgrund statistischer Modelle und mathematischer Wahrscheinlichkeiten. Deshalb scheint es dem Nutzer so, als ob eine KI mitunter „Fakten erfinde“. Je besser die Datengrundlage, desto geringer ist die Gefahr dieses „Halluzinierens“.
Weshalb sollten Unternehmen KI einsetzen? Einen ersten Hinweis kann die jüngst erschienene DIHK-Digitalisierungsumfrage 2023 liefern. Als wichtigste Motivation für eine verstärkte Digitalisierung führten die befragten Unternehmen „Flexibilisierung des Arbeitens“, „Qualitätsverbesserung“ und „Kosten sparen“ an. Diese Ziele treffen wohl auch auf die Anwendung von KI in betrieblichen Kontexten zu: Das beginnt bei KI-generierten Stellenausschreibungen sowie der Zusammenfassung umfangreicher Geschäftsberichte. Anspruchsvoller sind bereits KI-gestütztes Wissensmanagement und Marketing sowie die Anwendung von KI-Modulen im Maschinenbau bis hin zur Decision Intelligence. Und so haben laut der DIHK-Studie bereits 61 Prozent der deutschen Unternehmen KI im Einsatz oder planen den Einsatz in den nächsten drei Jahren – ein Plus von 24 Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahr.
Auf der einen Seite ist es heute einfacher, KI im eigenen Unternehmen einzuführen: Wo früher große Teams von Machine-Learning-Engineers, erhebliche Investitionen und umfangreiche Bestände an Trainingsdaten notwendig waren, können heute kleinere Entwicklungsteams mithilfe generativer KI-Modelle proprietäre – das heißt unternehmensspezifische – Datenbestände in kurzer Zeit mit beachtlichem Erfolg auswerten. Doch die Einführung von KI kann durch Faktoren gehemmt werden, welche die befragten Unternehmen in der DIHK-Studie nannten: „Zeit“, „Komplexität“, „Geld“ und „Sicherheitsrisiken“. Die Datennutzung sehen die Unternehmen vor allem durch rechtliche Unsicherheiten, technische Hemmnisse, fehlendes Know-how und mangelnde Datenqualität behindert.
Thomas Prexl ist der Head of Innovation and Co-Creation Director Startup am Technologiepark Heidelberg. Er kennt weitere Hindernisse: „Die Zahl der KI-Anwendungen ist bereits heute unüberschaubar. Täglich treten neue Algorithmen, Plattformen und Start-ups hinzu“. Darüber hinaus sei es schwierig, die Verbindung zwischen den großen Möglichkeiten generativer KI und der Wertschöpfung in den Unternehmen zu knüpfen. „Der Fokus bei der Einführung von KI sollte darauf liegen, erste Mehrwerte zu schaffen, die unmittelbar wirken“, rät Prexl.
Hilfestellung können KI-Hubs und KI-Labore geben. In Karlsruhe fördert der Digital Hub für angewandte Künstliche Intelligenz (de:hub) ein weitgespanntes Ökosystem, das von Forschungseinrichtungen über Start-ups bis hin zu über 40 KI-Unternehmen und -Experten reicht. Der Digital Hub, koordiniert durch die DIZ|Digitales Innovationszentrum GmbH, bietet nicht nur der KI-Community eine Plattform, sich auszutauschen, er nimmt auch Unternehmen in den Blick, die KI in betrieblichen Abläufen einsetzen oder weiterentwickeln wollen.
DIZ-Geschäftsführer Gennadi Schermann kennt als Wirtschaftsingenieur die Bedarfe der Unternehmen und die Abläufe, um KI in die Anwendung zu bringen: „Wir analysieren immer zunächst, wo Prozesse nicht wie gewünscht funktionieren, wo es Unterbrechungen gibt und wo Einsparpotenziale beziehungsweise neue Möglichkeiten der Wertschöpfung bestehen. In einem weiteren Schritt schauen wir, ob KI hinzugezogen werden kann und welche unserer Unterstützungsleistungen interessant sein könnten.“
Aleph Alpha: KI-Größe aus der Metropolregion Rhein-Neckar
2019 in Heidelberg gegründet, stemmt das Unternehmen vier Jahre später eine Finanzierungsrunde von 500 Millionen Dollar (etwa 465 Millionen Euro). Die Rede ist von Aleph alpha, das erfolgreichste KI-Unternehmen in der Metropolregion Rhein-Neckar (MRN). Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bescheinigte dem Heidelberger Start-up eine „wahnsinnige Erfolgsgeschichte“. Und laut Handelsblatt erklärte der CEO Jonas Andrulis: „Wir haben genug Geld, sodass wir Vollgas geben können.“ Die Partner würden so viel Einsatz bringen, „dass wir damit den besten Teams und den größten Unternehmen der Welt Paroli bieten können.“ Zu den Investoren zählen unter anderem SAP, Bosch und Burda.
Was hat Aleph alpha an die Spitze katapultiert? Das Unternehmen hat eine deutsche Antwort auf ChatGPT gefunden: „Luminious“, ein KI-Sprachmodell. Der größte Unterschied zur KI von Open AI: „Luminous“ ist nicht für private Nutzer gedacht, sondern wurde auf Unternehmen und die öffentliche Verwaltung ausgerichtet. Sie können das KI-Sprachmodell mit den eigenen Daten verbinden.
Ein erstes Beispiel: Die Stadtverwaltung von Heidelberg hat 2022 einen Assistenten für Bürger (“Lumi”) gestartet, der auf „Luminious“ aufbaut. Das System hilft dabei, die Kommunikation zwischen Behörden und Bürgern zu verbessern. red/il
Die DIZ GmbH unterstützt Unternehmen ebenso bei der Beratung und Beantragung von Fördermitteln. Sind größere F&E-Projekte mit längeren Zeithorizonten angepeilt, können geeignete Experten vermittelt werden. „Die Unternehmen benötigen aber auch intern Ressourcen“, betont Schermann: „Momentan wollen viele Unternehmen erst noch abwarten und ihr Stammgeschäft absichern. Wir empfehlen jedoch, sich mit den Technologien schon jetzt zu beschäftigen, um am Puls der Zeit zu bleiben. Hier können Ökosysteme wie der de:hub enorm helfen.“
Im KI Lab Heidelberg verfolgen Leiter Paul Becker und Senior Advisor Rolf-Dieter Schiermeyer das Ziel, KI schnell in KMU zu bringen. Einfachheit und Umsetzung sind dabei die Stichworte, wie Paul Becker erklärt: „Gemeinsam mit den Unternehmen schauen wir, wie KI aktuelle Probleme schnell lösen kann.“ Und Rolf-Dieter Schiermeyer ergänzt: „Wir gehen proaktiv auf die Unternehmen zu. Momentan ist das Interesse zwar groß. Es ist dennoch wichtig, Kontaktnetzwerke zu haben.“ Eine Sache ist Becker wichtig: „KI muss unter dem Strich Zeit und Geld sparen. Die meisten Unternehmen, die wir betreuen, wollen aber ihre Mitarbeiter nicht durch KI ersetzen, sondern entlasten, um ihr Personal sinnvoller einzusetzen.“ Viele Mittelständler stünden bei der Anwendung von KI allerdings erst am Anfang. „Diese Unternehmen haben Bedenken hinsichtlich Kosten und Datenschutz.
Auch das Thema Verfügbarkeit von Daten spielt eine große Rolle“, so Becker. Das KI-Lab-Tandem führt bei jedem Unternehmen zunächst eine Potenzialanalyse durch, identifiziert Anwendungen und Technologien. Eignet sich die Problemstellung für den Einsatz von KI, sucht Paul Becker in einer Scouting- und Matching-Phase geeignete Start-ups für ein Co-Creation-Projekt, in der ein KI-Pilot erstellt wird. Der studierte Maschinenbauer schöpft hier aus seiner jahrelangen Erfahrung in der Gründungsförderung. Am Ziel sind Becker und Schiermeyer, wenn sich die Geschäftsführer untereinander begeistert von ihren KI-Projekten berichten.
Auch im Maschinenbau wird KI Einzug halten, obwohl hier zwei Kulturen aufeinandertreffen. Das weiß kaum jemand so gut wie Thomas Usländer, Business Developer KI-Engineering am Fraunhofer- IOSB in Karlsruhe: „Ingenieure konstruieren normalerweise Systeme, deren Leistungsfähigkeit sie genau vorhersagen können. Sind die dafür notwendigen Modelle nicht verfügbar oder wirtschaftlich erstellbar, sind datengetriebene KI-Modelle eine Alternative, obwohl man deren Funktionsweise zum Teil nicht genau versteht.“ Das Fraunhofer IOSB will über die neue Disziplin „KI-Engineering“ Ingenieuren helfen, systematisch KI-Systeme mit definierten Leistungskriterien zu entwickeln.
„Die Politik fordert einen stärkeren Einsatz von KI, aber der Einstieg dazu ist schwierig“, erklärt Usländer. Das IOSB stellt deshalb die Problemanalyse an den Beginn des methodischen Vorgehens. Hier könne durchaus ein Ergebnis sein, dass gar kein KI-Verfahren benötigt werde. Soll KI eingesetzt werden, fordert Usländer, über einen funktionsfähigen Prototypen hinauszukommen: Die neue Technik müsse in Produkten eingesetzt und über längere Zeit gelebt und gepflegt werden und einen wirtschaftlichen Vorteil bringen. Hemmschuhe eines eingehenderen KI-Einsatzes im mittelständischen Maschinenbau sieht Usländer im Fachkräftemangel und in einer komplexen Regulierungslage. Hier lägen entscheidende politische Hebel der KI-Förderung.
Text: Stefan Burkhardt, Bild: sorin/stock.adobe – KI generiert