Das Mitarbeiterunterstützungsprogramm Rhein-Neckar (MUP) bietet in Kooperation mit dem Verband Region Rhein-Neckar (VRRN) Firmen und Beschäftigten ein Hilfsangebot bei gesundheitlichen Überlastungen im Arbeitskontext, das insbesondere den Mittelstand anspricht.
Es war eine Nachricht, die auf den ersten Blick erstaunlich wirkte: Im Februar vermeldeten zahlreiche Krankenkassen, darunter die Techniker Krankenkasse (TK) als größte gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland, dass die Zahl der Krankentage von Beschäftigten im vergangenen Jahr deutlich zurückgegangen sei. Insbesondere erkältungs – und grippebedingte Krankschreibungen seien deutlich seltener gewesen – eine Folge der Hygienemaßnahmen im Kontext der Covid-19-Pandemie.
Doch zugleich schlagen Experten aufgrund eines anderen Befundes Alarm, der ebenfalls mit den coronabedingten Einschränkungen zu tun hat: eine deutliche Zunahme von Menschen, die aufgrund von Stress und psychischen Belastungen Hilfe benötigen.
Wenngleich Aspekte der seelischen Gesundheit immer stärker im öffentlichen Bewusstsein präsent sind und die Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen und Erkrankten geringer ist als früher, so fällt es vielen Betroffenen noch immer schwer, darüber zu sprechen – insbesondere im beruflichen Kontext.
MUP Rhein-Neckar wurde im Oktober 2019 als Verein gegründet. Es ist als bundesgefördertes Projekt in Kooperation mit dem Verband Region Rhein-Neckar gegründet worden. Die Grundidee dahinter beschreibt Petra Kruppenbacher, Geschäftsführerin des MUP: „Wir wollen uns als Partner für alle kleineren und mittleren Unternehmen und Verwaltungen anbieten und die psychische Gesundheit in der Arbeitswelt in der Region zum Thema machen.“ Mithilfe der Mitgliedsbeiträge der beteiligten Unternehmen ist es Kruppenbacher und ihrem Team möglich, Dienstleistungen anzubieten, von denen sowohl die Unternehmen und Verwaltungen als auch die Mitarbeitenden profitieren. Dabei geht es insbesondere auch darum, den Mitarbeitenden kleinerer Unternehmen und Verwaltungen sowie ihren Familienangehörigen eine telefonische Anlauf- und Beratungsstelle in herausfordernden privaten oder beruflichen Lebenssituationen anzubieten – so wie das in Großunternehmen wie zum Beispiel der BASF und der SAP bereits selbstverständlich ist.
Das Angebot richtet sich an alle Mitarbeitenden und die Führungskräfte der Mitgliedsunternehmen und ist betont niederschwellig gehalten, wie Kruppenbacher betont: „Jeder Anrufer kann sofort und anonym die Hilfe in Anspruch nehmen. Es wird zu allen Herausforderungen, die das Leben stellt, kompetent beraten.“
Gemeinsam zur Lösung
Montags bis freitags von 14 bis 18 Uhr bietet das Team feste Anrufzeiten an. In dieser Zeit kann man sich direkt beraten lassen oder einen Beratungstermin vereinbaren. Im Gespräch sollen dann gemeinsam neue Perspektiven entwickelt werden, indem auf die eigenen Ressourcen gebaut wird und eigene Wege definiert werden. „Es werden hier keine Tipps oder vorgefertigte Lösungen angeboten, sondern der Berater unterstützt den Anrufenden dabei, seine eigene Lösung zu finden“, erklärt die MUP-Geschäftsführerin.
Der jeweilige Arbeitgeber erfährt nichts über die Inhalte der Beratung oder darüber, wer die Hilfe in Anspruch genommen hat. Das Unternehmen selbst bekommt jedoch einmal im Jahr einen Überblick über die Anzahl der stattgefundenen Beratungen und einen allgemeinen Überblick über die Themen. So bleibt die Anonymität für den anrufen auf jeden Fall gewahrt und das Unternehmen gewinnt dennoch einen Einblick in die Resonanz des MUP bei den Beschäftigten.
Und diese kann sich durchaus sehen lassen – wenngleich der Start holprig war, wie Petra Kruppenbacher bestätigt: „Wir starteten ein halbes Jahr vor der Coronakrise. Als es dann so richtig losgehen konnte mit Präsentationen bei Kunden oder auch bei Veranstaltungen, wurden wir ziemlich ausgebremst.“ Das Team entschied sich recht schnell, seine Hotline für alle Unternehmen und deren Mitarbeitende von März bis einschließlich Juli vergangenen Jahres kostenlos anzubieten. „Das war unser Beitrag in der Region, um alle Menschen, die wir erreichen konnten, in dieser herausfordernden Situation zu unterstützen“, erläutert die Geschäftsführerin – ein Schritt, der langfristig Wirkung erzielen sollte: „Wir haben sehr schnell sehr viele Unternehmen gewinnen können und dadurch auch sehr viele Erfahrungen machen können, die uns bei der Konzeptentwicklung von MUP Rhein-Neckar sehr weitergebracht haben.“
Führungskräfte im Blick
So hat das Team mittlerweile nicht nur eine Beratungshotline für Mitarbeitende, sondern auch eine ganz spezifische Anlaufstelle für Führungskräfte in schwierigen Führungssituationen aufgebaut. „Wir haben ein sehr umfangreiches Konzept entwickelt, wie wir das Mitarbeiterunterstützungsprogramm im Unternehmen sichtbar machen und so von Anfang an dazu beitragen, das die Mitarbeitenden die Hotline auch rege nutzen“, erklärt Kruppenbacher. Darüber hinaus bietet sie mit ihrem Team noch Workshops für Mitarbeitende und Führungskräfte an, in denen man sich zum Beispiel ohne großem Aufwand mit dem Thema Resilienz , Stressprävention und auch gesunder Führung beschäftigen kann.
Für die gegenläufige Entwicklung von deutlich weniger Krankmeldungen einerseits und einem Anstieg psychischer Erkrankungen aufgrund coronabedingter Einschränkungen im Sozialleben und der Belastungen durch Homeoffice, Kurzarbeit und vielfältige Unsicherheiten in der Krise andererseits hat Expertin Kruppenbacher eine Erklärung: „Die Widersprüchlichkeit, die in den beschriebenen Phänomenen steckt, ist ein Teil der Problematik im Umfeld von psychischen Erkrankungen. Der Fachbegriff dafür ist Präsentismus: Menschen, die sehr belastet und eigentlich nicht arbeitsfähig sind, trauen sich gerade in Krisenzeiten nicht, sich krankschreiben zu lassen. Sie arbeiten dann unter erschwerten Bedingungen oder mit sehr geringem Output. Das wiederum verstärkt das Problem in sich.“
Umso mehr sieht sie mit ihrem Team beim MUP Handlungs-, aber auch Aufklärungsbedarf. Neuesten Untersuchungen des Portals für psychische Gesundheit am Arbeitsplatz (psyGA) zufolge trauen sich schließlich 63 Prozent der psychisch erkrankten Menschen nicht, ihren Arbeitgeber oder auch Kollegen über ihre Erkrankung zu informieren – aus Angst vor Stigmatisierung. Psychische Erkrankungen beziehungsweise psychische Gesundheit in der Arbeitswelt in der Region stärker sichtbar zu machen ist also ein weiterer Auftrag des MUP Rhein Neckar.
(Moritz Tzschaschel, Bild: hf. Bildunterschrift: Petra Kruppenbacher (Zweite von links) und ihr Team vom MUP möchten insbesondere Mitarbeitenden aus dem Mittelstand und aus kleineren öffentlichen Institutionen eine Anlaufstelle in herausfordernden Lebenssituationen bieten.)