Wenn von Lieferketten die Rede ist, treibt Unternehmen nicht mehr nur die Frage nach Verfügbarkeiten, Preisen und Transportkosten um. Vielmehr warfen jüngst die sozialen und ökologischen Produktionsbedingungen in manchen Ländern einen langen Schatten auf sonst strahlende Marken. Kann ein Gesetz helfen? 

 

Das Bewusstsein für Interdependenzen und Verantwortung jenseits von Lohnniveau, Produktionskapazitäten und Transportkosten hat die Wirtschaft erreicht. Reportagen aus den Kobaltminen des Kongos, aus den Kleidungsfabriken in Pakistan oder von den Müllhalden in Nigeria, auf denen deutscher Elektroschrott schwelt, nagten am penibel gepflegten Nachhaltigkeits-Image mancher Saubermänner. Viele Unternehmen formulierten Selbstverpflichtungen, schufen Gütesiegel und gelobten ein kritisches Bewusstsein für problematische Arbeitsbedingungen. 

Doch substanziell passiert ist oft nur wenig. Unternehmen, die ihre Lieferketten grundlegend neugestalteten, erlitten aufgrund höherer Kosten häufig Wettbewerbsnachteile. Auch deshalb initiierte die letzte Bundesregierung nach einem längeren internen Abstimmungsprozess das „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ (im Folgenden: LkSG), das der Bundestag am 11. Juni 2021 beschloss. Ab dem 1. Januar 2023 gelten bis auf wenige Ausnahmen für inländische Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten, ab 1. Januar 2024 auch für inländische Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden umfangreiche Transparenz- und Berichtspflichten. Gegenwärtig betrifft das LkSG etwa 3.000 Unternehmen direkt. Hinzu treten aber auch alle Lieferanten dieser direkt betroffenen Unternehmen. 

Dem LkSG zufolge sollen die Unternehmen dafür Sorge tragen, dass in ihren vorgelagerten Lieferketten weltweit bestimmte Standards erfüllt und Menschenrechtsverletzungen unterbunden werden. „Das schließt auch die Vermeidung einiger Umweltrisiken mit ein“, erklärt Matthias Kruse, der bei der IHK Rhein-Neckar den Geschäftsbereich Internationales verantwortet. Als besonders risikobehaftet gelten laut Gesetz Unternehmen, die Waren und Dienstleistungen aus dem außereuropäischen Ausland beziehen. Das kann zum Beispiel ein zulieferndes deutsches Softwareunternehmen sein, das Teile seiner Programme in Indien programmieren lässt. „Hier könnte es etwa um die Einhaltung von Arbeitszeitregelungen gehen“, ordnet Matthias Kruse ein. 

Kruse nennt weitere Beispiele, die laut LkSG eine Verletzung von Standards darstellen: Die Beschäftigung von Kindern unter 15 Jahren, Zwangsarbeit, Missachtung von Arbeitsschutzregeln, Missachtung der Koalitionsfreiheit, Ungleichbehandlung und Diskriminierung, Zahlung eines nicht angemessenen Lohns. Hinzu träten umweltbezogene Faktoren wie etwa schädliche Bodenveränderungen, Verunreinigung von Luft und Gewässern, übermäßiger Wasserverbrauch und Verwehrung des Zugangs zu sauberem Trinkwasser und zu Sanitäranlagen. 

Was wird nun aber von den betroffenen deutschen Unternehmen erwartet? Das Gesetz verlangt von den Unternehmen, nicht nur ein Risikomanagement einzurichten und betriebsinterne Zuständigkeiten festzulegen, sondern auch mindestens jährlich eine Risikoanalyse ihrer Lieferketten durchzuführen: Wo könnten Menschenrechtsverletzungen mit welchem Schweregrad und mit welcher Unumkehrbarkeit auftreten und wie kann sich das Unternehmen dort besser aufstellen? 

Lieferbeziehungen beenden

Nun könnte man auf den Gedanken kommen, problematische Zulieferer im Fall der Fälle einfach zu ersetzen. „Das wird ab dem 1. Januar 2023 schwer“, erklärt Kruse: „Der Gesetzgeber hat in seiner Gesetzesbegründung den Grundsatz ‚Befähigen vor Rückzug‘ aufgestellt. Erst wenn bei Menschenrechtsverletzungen kein milderes Mittel Erfolg hatte, dürfen Unternehmen eine Lieferbeziehung beenden.“ Für die Unternehmen könnte es sich deshalb lohnen, bereits vor Inkrafttreten des LkSG die eigene Lieferstruktur zu durchforsten und sich im Zweifel von bestimmten Lieferanten zu trennen – obwohl dies bei den aktuellen Lieferengpässen schwierig sei. 

Stehen durch diese Regelungen bereits kleinere Zulieferer vor großen Herausforderungen, wächst der Aufwand für größere Konzerne mit ihren fein verästelten Lieferketten ins Gigantische. Vom Gesetz direkt betroffene Unternehmen werden ihren Lieferanten nun in Wellen Verpflichtungserklärungen und Lieferantenselbstauskünfte zukommen lassen, die stärker auf das LkSG eingehen werden. „Im Zweifelsfall werden auch Vertragsstrafen vereinbart werden. Hier sollte man genau hinschauen, welche Formulierung man als Lieferant akzeptieren möchte: Man kann sich eher darauf einlassen, seine eigenen Lieferanten zu befähigen, Missstände abzustellen und nicht auf eine Klausel, in der man garantiert, dass Menschenrechtsverletzungen nicht stattfinden“, rät Matthias Kruse. 

Und es fehlen vielfach noch klare Vorgaben und damit ausreichende Rechtssicherheit, wie der IHK-Fachmann ausführt: „Im Gesetz und seiner Begründung erscheint 49-mal das Wort ‚angemessen‘. Am Ende des Tages werden die Gerichte entscheiden müssen, was unter ‚angemessen‘ zu verstehen ist. So kann es Jahre dauern, bis Unternehmen überhaupt wissen, ob sie sich rechtskonform im Sinne des Gesetzes verhalten haben.“ Auch bei den jährlichen Berichtspflichten gegenüber dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) sei noch einiges unklar, zum Beispiel, ob ein berichtspflichtiges Unternehmen Zulieferer prüfen muss, die selbst der Berichtspflicht unterliegen oder ob eine Unternehmensgruppe einen Bericht abgeben muss oder jede einzelne Tochter ihren eigenen. 

„Das Lieferkettenmanagement ist aufwendig und kann nicht einfach so neben dem Tagesgeschäft erfolgen“, ist sich Laura Marie Edinger-Schons, Professorin für Nachhaltiges Wirtschaften an der Universität Mannheim, sicher. Unternehmen müssten bereit sein, zusätzliche Ressourcen für diese Aufgabe zu investieren. Doch der Einsatz lohne sich, wie Edinger-Schons weiß: „Nachhaltigkeitsberichte werden wohl auch künftig kaum von Konsumenten gelesen werden. Doch der Bereich Sustainable Finance ist in Bewegung. In den nächsten Jahren werden ganze ‚schmutzige‘ Industrien, die Sin Stocks bzw. Brown Industries, für Investitionen nicht mehr attraktiv sein. Umso einfacher wird es für Unternehmen, die gut dastehen.“ Die neuen Berichtspflichten verbesserten die Datenbasis für die ESG-Ratings und diese Ratings würden künftig verstärkt Einfluss auf die Investitionsentscheidungen von Fonds, Anlegern und Banken haben. 

Durch die gewissenhafte Erfüllung der LkSG-Berichtspflichten und ein aktives Lieferkettenmanagement können die Unternehmen aber nicht nur Reputationsrisiken vermeiden und eine positive Außenwirkung gegenüber Investoren und anderen relevanten Stakeholdern erzielen. Edinger-Schons kennt auch eine weitere Zielgruppe der Nachhaltigkeitsberichte, nämlich die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: „Es gibt einen immer schärferen Wettbewerb um die besten Talente. Diejenigen, die sich ihren Arbeitsplatz recht frei aussuchen können, gehen dorthin, wo es ein Werte-Match gibt. Unternehmen, die ein gutes ESG-Ranking haben, werden die besten Leute bekommen, die anderen müssen höhere Gehälter zahlen.“ 

Wie kommt aber das LkSG im außereuropäischen Bereich an? Kurz gesagt: Unterschiedlich. Zum einen gibt es dort Unternehmen, die bei der Verwirklichung der ESG-Ziele und der Transparenzregeln bereits sehr weit sind und die das LkSG befürworten. Andere Unternehmen, die noch nicht soweit sind, könnten das LkSG wohl als Bedrohung ihres Geschäftsmodells ansehen. „Allerdings darf man nicht vergessen, dass sich trotz kurzfristiger Widerstände langfristig die Menschenrechtsstandards innerhalb der Lieferketten verbessern“, betont Edinger-Schons. 

„Das Lieferkettenmanagement ist aufwendig und kann nicht einfach so neben dem Tagesgeschäft erfolgen.“
Laura Marie Edinger-Schons, Professorin für nachhaltiges Wirtschaften an der Universität Mannheim

Als mögliche Sanktionen sieht das Gesetz Bußgelder bis zu 800.000 Euro vor und für sehr große Unternehmen mit mehr als 400 Millionen Euro Jahresumsatz bis zu zwei Prozent ihres Umsatzes. Auch droht der Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge für bis zu drei Jahre. Die Betroffenen können aber selbst tätig werden, wie Kruse ausführt: „Jedem, der sich betroffen fühlt – zum Beispiel als Mitarbeiter des direkten oder indirekten Zulieferers eines Unternehmens –, wird im Gesetz die Möglichkeit eingeräumt, sich im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens an das berichtspflichtige deutsche Unternehmen zu wenden. Und laut Bundesarbeitsminister Heil werden Betroffene einen Dritten (deutsche Gewerkschaften oder Nichtregierungsorganisationen) beauftragen können, für sie vor deutschen Gerichten Klage zu erheben.“ 

Aber wie realistisch ist es, dass deutsche Unternehmen durch Betroffene verklagt werden? Das ist nach Meinung von Edinger-Schons zwar eher unwahrscheinlich: „Die Betroffenen vor Ort haben häufig nicht die Befähigung und das Wissen, sich in den bürokratischen Prozessen zurechtzufinden.“ Es könne aber sein, dass sich NGOs helfend einschalten. Unternehmen müssten also mit Klagen rechnen und das – wenngleich geringe – Risiko größerer Kosten und immenser Reputationsschäden reiche aus, die eigenen Pflichten ernst zu nehmen. 

Und dies ist auch aus anderen Gründen empfehlenswert, wie Edinger-Schons erklärt: Jene Unternehmen, die sich bereits seit Jahren intensiv mit ihren Lieferketten und Transparenzfragen auseinandergesetzt hätten, seien auch besser durch die gegenwärtigen Lieferengpässe gekommen: Man kennt sich, vertraut sich und tut alles, um sich rasch gegenseitig zu helfen. So kann und müsse letztlich der Wandel zur Chance werden, wie die Nachhaltigkeitsexpertin erklärt: „Das sind Transformationsthemen, die die gesamte Gesellschaft betreffen. Wenn man sich dem als Unternehmen versperrt, ist man irgendwann nicht mehr zeitgemäß“. 

Denn auch zukünftig pfeifen Bundesregierung und EU mit vollen Backen den Wind of Change: Das LkSG sieht bis 30. Juni 2024 eine Evaluation darüber vor, ob die Schwellenwerte der Unternehmensgrößen gesenkt werden sollen. Darüber hinaus laufen auf EU-Ebene Planungen für ein europäisches LkSG. Man könne davon ausgehen, meint Edinger-Schons, dass auf eine europäische Lieferkettenregulation komme, die strikter als die deutsche Regelung sei und die versuchen werde, soziale und ökologische Aspekte miteinander zu kombinieren. Wahrscheinlich werden Grenzen im Sinne der EU festgelegt und das bedeutet Größenklassen ab 250 Beschäftigte. Und damit auch Berichtspflichten für jedes größere Unternehmen. 

Stefan Burkhardt, Bild: stock.adobe.com / Renate Wefers