Bald beginnt die Zukunft in Ludwigshafen. Die Hochstraße Nord wird Geschichte sein – und das innovative Quartier City West wird zeigen, wie eine nachhaltige Stadtentwicklung im 21. Jahrhundert aussehen wird.
Von Stefan Burkhardt
Helmut Kohl brachte die deutsche Einheit. Diese Lebensleistung würdigt die Stadt Ludwigshafen in ihrem Quartier City West, indem sie eine Allee nach dem verstorbenen Altkanzler benennt.
Das neue Stadtquartier umfasst die durch den Rückbau der Hochstraße Nord und des Rathaus-Centers mit Rathaus-Turm entstehenden Freiflächen im Umfeld der Helmut-Kohl-Allee zwischen den Stadtteilen Mitte und Nord beziehungsweise Hemshof. Das Plangebiet reicht vom Gelände der Spedition Frey an der Deutschen Straße im Westen bis zur Kurt-Schumacher-Brücke über den Rhein im Osten.
Das neue Stadtquartier fügt sich wie ein Puzzle-Teil in die Ludwigshafener Stadtentwicklung ein: Die Innenstadt wird durch das neue Stadtquartier nach Norden arrondiert. Die neuen Verbindungsachsen Bismarckstraße – Prinzregentenstraße und Havering-Allee – Europaplatz sollen zur Vernetzung der Stadtteile beitragen. Hinzu soll eine neue Grünachse treten, die vom Friedenspark über Danzigerplatz, Europaplatz und Ludwigsplatz bis hin zur Rheinpromenade reicht und als zentraler Bestandteil der Freiraumgestaltung vorgesehen ist. Nach Westen schließt sich eine stadtplanerische Konversionsmaßnahme über den Messplatz bis hin zum Bahnhofsvorgelände an.
Die Planungen nehmen langsam Gestalt an. Die Grundlagenermittlung (= erste Leistungsphase des Leistungsbildes Gebäude und Innenräume der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure) ist abgeschlossen. Eine Fraunhofer-Studie zur Bestandsanalyse und die Ausarbeitung einer Quartiersstrategie brachten erste Handlungsempfehlungen und Visionen für das neue Quartier. Hinzu trat eine städtebauliche Machbarkeitsstudie und eine Kurzzeitstudie zu den Gründungsmöglichkeiten. In einem nächsten Schritt soll ein städtebaulich-freiraumplanerisches Werkstattverfahren starten. Auf dieser Grundlage will der Stadtrat Ende 2024/Anfang 2025 eine Rahmenplanung verabschieden.
Bereits zum jetzigen Planungsstand lassen sich einige Grundlinien der künftigen Quartiersentwicklung ausmachen. So sind die eigentlichen Freiflächen in mehrere Teilgebiete untergliedert, auf denen unter anderem die Themen „Bildung“, „Wohnen“, „Arbeit und Wirtschaft“, „Nachhaltige Mobilität“ und „Klimaadaption“ entwickelt werden sollen. Das Leitbild lautet hier Effizienz durch Mehrfachnutzungen für Wohnraum, Gewerbe und öffentlichen Raum.
Die öffentlichen Räume sollen als Begegnungs- und Aktionsräume für die lokale Nachbarschaft konzipiert werden. Die Wegeplanung soll sich am Leitbild der 15-Minuten-Stadt orientieren, das heißt, sämtliche Alltagswege sollen in kurzer Zeit ohne Auto erreichbar sein. Auch die weitere Mobilität soll über vielfältige Transportmöglichkeiten und Sharing-Modelle in „Mobilitäts-Hubs“ (Fahrräder, Autos, E-Mobilität, ÖPNV) ressourcensparend und emissionsarm ausgestaltet werden. Entsprechend sollen bei den Planungen der Helmut-Kohl-Allee sowohl die Erfordernisse des ÖPNV als auch breite Rad- und Gehwege Berücksichtigung finden.
Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung soll nicht nur bei den Baumaßnahmen durch eine zirkuläre Bauweise, die Wiederverwendung von Materialien und Verwendung nachhaltiger Baustoffe erreicht werden. Zugleich soll das Quartier an die Folgen des Klimawandels angepasst werden, insbesondere an die häufigeren sowie extremeren Hitze- und Dürreperioden einerseits und Starkregenereignissen andererseits. Um die Resilienz des neuen Stadtteils zu erhöhen, wird unter anderem vorgeschlagen,
- wassersensitiv zu planen, das heißt Konzepte der dezentralen Niederschlagsbewirtschaftung und sogenannte „blaugrünen“ Infrastrukturen zu berücksichtigen, die Wasser vor Ort speichern und/oder eine Verdunstung ermöglichen,
- Flächen soweit wie möglich zu entsiegeln und Grünflächen wo möglich wieder herzustellen – etwa indem Plätze klimaaktiv und nachhaltig als zusammenhängende Infrastruktur ausgestaltet werden,
- in den Wohngebieten kleine qualitative Freiflächen (Pocket-Parks) einzuplanen,
- als Frischluftschneise eine Grünverbindung von Roßlache/Willersinngebiet über Ebert- und Friedenspark durch die Innenstadt bis hin zum Rhein zu berücksichtigen sowie Dächer und Fassaden zu begrünen.
Anders als die Hochstraße Nord soll die Helmut-Kohl-Allee über große Grünstreifen mit bis zu zwei Baumreihen an den Straßenseiten verfügen, teilweise sind auch Bäume im Mittelstreifen vorgesehen. Der Regen, der auf die Geh- und Radwege fällt, soll zielgerichtet den Straßenbäumen zugeleitet werden. So soll nicht nur die Kanalisation deutlich entlastet werden, auch die Bäume könnten sich besser entwickeln.
Bei diesen Planungen legt die Stadt Ludwigshafen nach eigenem Bekunden größten Wert auf eine frühzeitige Information und Beteiligung der Öffentlichkeit. Der Entscheidung zugunsten der Helmut-Kohl-Allee seien intensive Phasen der Bürgerbeteiligung in Sinne eines konsultativen Verfahrens vorausgegangen. Das nun geplante Beteiligungsverfahren soll grundsätzlich crossmedial gestaltet werden und Dialogangebote in Form von Bürgerforen oder Vor-Ort-Terminen (beispielsweise von Fachleuten geführte Spaziergänge) mit digitalen Angeboten (wie Online-Sprechstunden) verknüpfen. Mit der Website www.ludwigshafen-diskutiert.de habe die Stadt Ludwigshafen eine Dialog- und Transparenzplattform geschaffen. Jede Beteiligungsphase, jeder Planungsschritt und jede Entscheidung seien hier dokumentiert und nachvollziehbar. Einer lebendigen Diskussion um die konkrete Ausgestaltung des neuen Quartiers und einer Berücksichtigung der Bürgerwünsche sollte somit eigentlich nichts entgegenstehen.
Eine Bürgerbeteiligung in diesem Ausmaß war sicher noch nicht üblich, als in den 50ern das große Bröckeln begann. Das 1957 bis 1982 errichtete Hochstraßensystem im Stadtgebiet von Ludwigshafen wies infolge der Dauerbelastung dichten Verkehrs Anfang der 2000er Jahre deutliche Alterungsspuren auf. Für die Hochstraße Nord (B 44) zeigte eine Bestandsaufnahme 2010 die Notwendigkeit eines Neubaukonzeptes. Wenige Jahre später stellte man auch an der Hochstraße Süd (B 37) erhebliche Mängel fest, die rasches Handeln erforderlich machten. Die Hochstraße Süd musste zunächst gesperrt und dann teilweise abgerissen werden. Doch wie sollte es weitergehen?
Die Hochstraßen in der gewohnten Form zu erneuern, hätte bedeutet, Chancen einer zeitgemäßen Neugestaltung der Verkehrswege und der Stadtentwicklung ungenutzt verstreichen zu lassen. Zugleich galt es jedoch die Leistungsfähigkeit des Wegesystems zu erhalten: Für die Stadt und die Region haben die Hochstraßen eine immense Bedeutung: Sie sind das Grundgerüst für das örtliche Straßennetz und verbinden über die beiden Rheinbrücken Ludwigshafen und Mannheim als wichtige Verkehrsachse die gesamte Region.
Doch jedes Ende ist zugleich ein Anfang und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne und wenn es auch ein zauberhafter Kompromiss ist: So wird die Hochstraße Süd wieder komplett aufgebaut: Eine neue Spannbetonbrücke wird die abgerissene Pilzhochstraße ersetzen. Die Weiße Hochstraße, ebenfalls ein Teilstück der Hochstraße Süd, wird grundlegend modernisiert. Stadtverwaltung und Bauprojektgesellschaft (BPG) sind im Zeitplan und gehen davon aus, dass die Hochstraße Süd Anfang 2026 wieder komplett befahrbar sein wird.
An die Stelle der Hochstraße Nord soll hingegen die bis zu achtspurige Helmut-Kohl-Allee treten, eine rund 860 Meter lange, ebenerdige Verkehrsverbindung zwischen der Lorientallee im Westen und der Kurt-Schumacher-Brücke im Osten. Im Frühjahr 2024 beginnt der Bau der Westbrücke über die Bahngleise, also des Teilstücks, das die A 650 mit der Helmut-Kohl-Allee verbinden wird. Im Anschluss daran starten ab 2026 die Abrissarbeiten am so genannten Nordbrückenkopf der Hochstraße Nord und Zug um Zug entsteht die Helmut-Kohl-Allee.
Insbesondere gegen diese Bauschritte gab es Widerstand: Die Bürgerinitiative „Lebenswertes Ludwigshafen“ kritisierte die Planungen der Helmut-Kohl-Allee als überdimensionierten Ausdruck des nicht mehr zeitgemäßen Ideals einer autogerechten Stadt. Die Hochstraße Nord solle nicht abgerissen, sondern saniert und begrünt werden. Das Geld zum Umbau der nördlichen Verbindungsachse sei im sanierungsbedürftigen Ludwigshafener ÖPNV sinnvoller angelegt. Die Verteidiger der städtischen Planungen führten hingegen das steigende Verkehrsaufkommen ins Feld, das durch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr für die kommenden Jahre prognostiziert wird. Vorbedingung für eine Bundesförderung der Hochstraßenerneuerung war, dass die neuen Planungen den Berechnungen des Ministeriums entsprechen.
Mittlerweile liegt der Planfeststellungsbeschluss vor, der Stadtrat hat die Gesamtmaßnahme wie dargestellt genehmigt und auch die Finanzierung ist mit Hilfe von Bund und Land gesichert. Auf dieser Basis wird nun gebaut. Ganz einfach ist das nicht: Nur eine gute Vertaktung der einzelnen Baumaßnahmen kann gewährleisten, dass der bedeutende Verkehrskorridor zwischen der Vorderpfalz und Nordbaden offengehalten werden kann. Und nach den Unbilden der vergangenen Jahre mit Covid-Pandemie und Ukraine-Krieg wissen die Verantwortlichen um die Fragilität aller Planungen in heutigen Zeiten.
Bilder: stock.adobe.com/Samiul; LU-City Entwicklungs-GmbH