EU und Umwelt Die Maßnahmen des Green Deal – zu komplex, zu bürokratisch, zu zeitaufwendig, zu kostenintensiv oder zu risikoreich. So häufig das Urteil der Wirtschaft, auch in der MRN. Nur wenige Firmen erkennen, welche großen Chancen im Green Deal liegen. Das zeigt dieser Beitrag.

Von Apu Gosalia

Die Europäische Kommission hat im Dezember 2019 den „European Green Deal“ als Konzept vorgestellt. Ziel: Bis 2050 sind in der EU die Netto-Emissionen von Treibhausgasen (THG) auf null zu reduzieren, wodurch Europa der erste klimaneutrale Kontinent werden will. Der Green Deal umfasst eine Reihe von Maßnahmen, wobei die drei wichtigsten mit dem Buchstaben “C“ beginnen:

  • CCF: Bilanzierungsvorschrift
    für Unternehmens-THG-Emissionen
  • CSRD: Berichterstattungspflicht
    für Nachhaltigkeit
  • CSDDD: Richtlinie für die Lieferkette

 

1. Chance CCF

Der CCF (Corporate Carbon Footprint) ist der THG- bzw. CO2-Fußabdruck von Unternehmen. Er setzt sich zusammen aus den direkten und indirekten THG-Emissionen der gesamten Organisation, d.h. in der Firma selbst, an einem Standort oder einem Unternehmensteil. So erfasst der Footprint alle Emissionen, die durch die Tätigkeit des Unternehmens innerhalb eines Jahres erzeugt werden.
Hierdurch verschaffen sich Firmen einen Überblick über ihr betriebliches THG-Inventar und bekommen einen Einblick in die CO2-Bilanz ihrer verschiedenen Standorte. Auf diese Weise erhalten sie somit die Chance, ihre stärksten Emissionstreiber zu identifizieren und Maßnahmen zu etablieren, um diese nachhaltig zu verringern und so ein CO2-Reduktionsziel mit Absenkpfad für die eigene Klima- und Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln.
Zusätzlich eröffnet ein CCF die Chance, ökologische Risiken und Schwachstellen im Unternehmen zu überprüfen und Optimierungsprozesse im Klima- und Umweltmanagement zu erarbeiten, bspw. im betrieblichen Energiemanagement. Hierdurch können auch ökonomische Verbesserungen in Form langfristiger Kosteneinsparungen erzielt werden.
Mit der Aufstellung einer THG-Bilanz erhalten Unternehmen auch die Chance sich gegenüber Wettbewerbern zu differenzieren und ihr aktives Klimamanagement eventuell als Alleinstellungsmerkmal hervorzuheben. Als Vorreiter können sie auf diese Weise auch andere Firmen innerhalb der Branche animieren, ebenfalls eine Berechnung des CCF als wesentlichen Baustein ihres unternehmerischen Klimaschutzes anzustoßen. Zudem bekommen Unternehmen mit einem CCF die Chance, auf die steigenden Anforderungen von Politik, Kapitalmarktinvestoren und Kunden in puncto Transparenz und Verantwortung zu reagieren und sich frühzeitig auf zukünftige gesetzliche Vorhaben vorzubereiten. Analysen haben ergeben, dass die Erstellung einer CO2-Bilanz und das damit einhergehende Umweltbewusstsein mehr Kundenbindung, die Gewinnung neuer Zielkundensegmente aber auch Auswirkungen auf die Kreditfähigkeit eines Unternehmens zur Folge haben kann.
CO2-Messung ist nicht alles – aber ohne CO2-Messung ist alles nichts. Was wir nicht messen können, können wir nicht managen, und was wir nicht managen können, können wir nicht minimieren – das ist der strategische Dreiklang der “3 M“.
Die Aufstellung eines jährlichen CCF wird in Firmen schon bald den Status bekommen, den eine Finanzbilanz schon seit vielen Jahren hat, denn er dient der Unternehmensebene als Grundlage für ein kontinuierliches CO2-Management und ist zudem eine verpflichtende Kernkomponente der CSRD-konformen Nachhaltigkeitsberichterstattung.

2. Chance CSRD
Mit der CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive), die am 5. Januar 2023 in Kraft trat, wird die Rechenschaftspflicht europäischer Unternehmen über ökologische, soziale und geschäftsspezifische Nachhaltigkeitsaspekte rund um ESG – Environmental, Social & Governance – erhöht.
Hierzu wurde mit dem European Sustainability Reporting Standard (ESRS) erstmals ein verbindliches Berichtsformat auf EU-Ebene eingeführt, nach dem alle Unternehmen ab einer bestimmten Größe in der EU über ihre Nachhaltigkeitsperformance berichten müssen – und wie sie mit den damit verbundenen Risiken und Chancen umgehen.
Die CSRD gilt für die großen Konzerne bereits ab 2024 und wird phasenweise ausgeweitet – für mittelständische Unternehmen tritt sie ab 2025 in Kraft. Insgesamt sind rund 50 000 Unternehmen in der EU von der neuen CSRD-Pflicht betroffen, davon ca. 15.000 alleine in Deutschland.
Nachvollziehbarerweise kommen durch die CSRD zahlreiche Herausforderungen auf Unternehmen zu, über die allumfassend zu lesen ist. Über die Chancen die sich aus der CSRD für Firmen ergeben, wird leider viel zu wenig bis gar nicht gesprochen.
Unternehmen können die CSRD einerseits als Chance für Innovation und Transformation begreifen und aktiv nutzen, um nachhaltigere Praktiken zu entwickeln, umzusetzen und voranzutreiben. Beispiele für diese Innovationen sind ein stärkerer Fokus auf neue Technologien zur CO2-Reduktion oder Personalschulungen im Umweltschutz.
Andererseits helfen einzelne Elemente der CSRD wie zum Beispiel die THG-Bilanz, die Doppelte Wesentlichkeitsanalyse oder das sog. Scope 3-Screening Unternehmen dabei, Schwächen zu identifizieren, ihr Risikomanagement zu stärken und Lösungen zur Verbesserung ihrer Umweltauswirkungen sowie sozialen Beziehungen zu entwickeln. Dadurch erhalten sie die Chance, sowohl ökologische als auch soziale Werte zu schaffen und sich als Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit zu positionieren.
Zudem ergibt sich die Chance, das Bewusstsein für Nachhaltigkeitsthemen in der Unternehmensführung zu schärfen und die Integration von ESG-Kriterien in die Geschäftsstrategie voranzutreiben. Die für die CSRD-Pflicht erhobenen Informationen können langfristig für den eigenen Strategieprozess und den Ausbau von Wettbewerbsvorteilen genutzt werden, etwa zur Findung von Einsparpotenzialen, zur langfristigen Weiterentwicklung des eigenen Geschäftsmodells oder zur Hebung von Innovationspotenzialen.
Die CSRD ist als Chance für die eigene Nachhaltigkeitsleistung zu sehen, was auch für die strategische Nachhaltigkeitskommunikation gilt. Eine transparente Berichterstattung kann helfen, die Interaktion mit diversen Stakeholdern zu verbessern und verschiedene bereits vorhandene und zukünftig vermehrt bestehende Informationsbedarfe strukturiert zu bedienen. Denn nicht nur die eigenen Mitarbeitenden, Kunden oder Zulieferer interessieren sich für die Nachhaltigkeitsinformationen von Firmen, sondern auch Behörden oder Finanzpartner.
Perspektivisch eröffnet ein Bericht nach CSRD die Chance, behördliche Informationsbedarfe zu decken, und damit einen Beitrag zu Bürokratieabbau zu leisten, während er Investoren ermöglicht, fundiertere Entscheidungen zu treffen und Unternehmen besser zu bewerten. Auf diese Weise können Unternehmen das Vertrauen ihrer Anspruchsgruppen stärken, ihr Image als verantwortungsbewusste Organisation festigen und langfristige Werte für alle Stakeholder schaffen.

3. Chance CSDDD
Die CSDDD (Corporate Sustainability Due Diligence Directive bzw. CS3D) ist eine EU-Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen bei ihren Lieferanten und ihrer Lieferkette im Kontext von Nachhaltigkeit. Sie wurde nach langem Ringen in abgeschwächter Fassung am 15. März 2024 durch die EU-Mitgliedsländer mit qualifizierter Mehrheit angenommen und am 24. April 2024 durch das Europaparlament beschlossen.
Die Richtlinie verpflichtet alle EU-sowie Nicht-EU-Unternehmen, die im EU-Markt aktiv sind, dazu ihre gesamte Lieferkette hinsichtlich sozialer und ökologischer Standards (darunter Arbeitsbedingungen, Menschenrechte und Umweltschutz aber auch Korruptionsbekämpfung und Verbraucherschutz) zu überwachen sowie zu verantworten. Auf diese Weise erweitert die Richtlinie bisher nationale Ansätze, wie zum Beispiel das deutsche Lieferkettengesetz (LkSG), auf eine breitere, EU-weite Ebene. Der Anwendungsbereich der CSDDD erstreckt sich auf Unternehmen mit einer bestimmten Größe und Tätigkeit und soll sich jährlich ausweiten.
Die Einführung der CSDDD stellt viele Unternehmen vor große Herausforderungen, eröffnet aber auch Chancen, denn die enge Zusammenarbeit mit Lieferanten zur Verbesserung der Nachhaltigkeit kann langfristige Partnerschaften fördern, die Lieferkettenstabilität erhöhen und die Resilienz von Lieferketten stärken, was spätestens seit der Corona-Pandemie von zunehmender Bedeutung ist.
Zudem kann die Auseinandersetzung mit der Nachhaltigkeit in der eigenen Lieferkette Innovationen im eigenen Unternehmen fördern, zum Beispiel in Bereichen wie Recycling, Energieeffizienz oder sozial verantwortliche Beschaffung. So ergibt sich eine Chance für nachhaltigere Geschäftsmodelle.
Die CSDDD kann indirekt auch eine Chance für Unternehmen sein, größere Nähe zu Endkonsumenten zu schaffen und sogar Türen zu neuen Märkten und Kunden zu öffnen, besonders wenn diese Wert auf nachhaltige Produkte und Prozesse sowie die Einhaltung hoher Nachhaltigkeitsstandards in der gesamten Lieferkette legen.
Durch die CSDDD-Verpflichtung können Unternehmen für die eigenen und auch potentiellen, zukünftigen Arbeitnehmer attraktiver werden. Insbesondere die Generationen Y und Z legen zunehmend Wert auf den ethischen Standpunkt ihres Arbeitgebers in der gesamten Lieferkette. Wenn sich Unternehmen im Rahmen der CSDDD also mehr für soziale und ökologische Verantwortung einsetzen und transparent über ihre Bemühungen in Bezug auf die Einhaltung dieser Standards berichten, wirken sie besonders für diese Bevölkerungsgruppen anziehend.
Die CSDDD ist auch eine Chance zur Verbesserung des Markenimages von Unternehmen, die hierdurch ihre Glaubwürdigkeit bei diversen Stakeholdern stärken können, bspw. bei Investoren, die in verantwortungsbewusste Geschäftsmodelle investieren wollen.
Die CSDDD-Richtlinie schafft faire und transparente Bedingungen für alle Unternehmen, die in der EU tätig sind, stärkt auf diese Weise das Vertrauen in die europäische Wirtschaft und leistet einen Beitrag zur Verwirklichung der Ziele des European Green Deal, sowie zur Bewältigung globaler Herausforderungen im Bereich von Nachhaltigkeit in der Lieferkette.
Neben CCF, CSRD und CSDDD umfasst der European Green Deal eine Reihe von weiteren Elementen, die ebenfalls mit dem Buchstaben “C“ beginnen, wie bspw. CBAM (Verordnung für ein CO2-Grenzausgleichssystem) oder CEAP (Aktionsplan für Kreislaufwirtschaft). Sie alle stellen für viele Firmen sicherlich eine Challenge, also Herausforderung, dar. Aber Nichts ist so schlecht, dass es nicht für irgendwas gut ist. Gleichzeitig ergeben sich dadurch für Unternehmen auch vielfältige Chancen. Auf jeden Fall stehen diese Elemente für Change, also Veränderung. Schon der griechische Philosoph Heraklit von Ephesus erkannte vor 2500 Jahren: „Die einzige Konstante im Universum ist die Veränderung.“

 

Bild: Iryna Melnyk/adobestock