Vom drohenden Hochstraßen-Chaos bis zum Spitzensport braucht es einen Schulterschluss der Akteure. Nur so lassen sich große Herausforderungen meistern. Davon sind die Teilnehmer des After-Work-Business-Treffs MERITO im Ludwigshafener Gründerzentrum „Freischwimmer“ überzeugt. Just in diesem Innovationsquell sieht Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck einen idealen Standort für das Stadtmuseum.
Bauzäune säumen die hölzerne Brücke. An einem hängt eine blaue Plane. Daneben ein Schild: Der Schriftzug „Wer sich in tiefe Gewässer wagt, muss schwimmen können“, prangt zu Häupten eines stilisierten Hais. Während sich rund um das denkmalgeschützte Gebäude von 1956 auch mehr als zwei Jahre nach dem Beginn der Sanierungsarbeiten noch Schutthaufen türmen, ist das einstige Hallenbad Nord in Ludwigshafen längst zu neuem Leben erwacht: Unter dem Namen „Freischwimmer“ haben die Technischen Werke Ludwigshafen (TWL) pünktlich zum Digital-Gipfel der Bundesregierung im Juni 2017 ein Gründerzentrum eröffnet.
An diesem Abend macht dort der After-Work-Business-Treff MERITO Station. Rund 100 namhafte Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik sind der Einladung von abcdruck, Haas Media, der Unternehmensgruppe Pfitzenmeier und der Mercedes-Benz-Niederlassung Mannheim-Heidelberg-Landau gefolgt. Nach und nach strömen sie in das Foyer, dessen Säulen in blaues Licht getaucht sind, und bevölkern bunte Sitzgruppen. Andere bewundern eine Reihe von TV-Geräten im Vintage-Look, die gemeinsam einen übermannshohen Roboter formen, auf dessen Monitoren die Neugierigen ihr eigenes Antlitz gewahren. Später drängen die Netzwerker an verblassten Spinden vorüber durch einen schmalen Korridor ihrem Ziel entgegen. Kurz darauf ist das frühere Lehrbecken im Untergeschoss voll gefüllt: mit Menschen auf Stühlen. Nur noch über eine Videowand wabert – freilich virtuelles – Wasser.
Die knappe Zwischenbilanz, die Geschäftsführerin Stephanie Henn und Community-Manager Sabine Rudolph präsentieren, kann sich sehen lassen: Rund ein Jahr nach dem Vermietungsstart haben sechs Start-ups mit innovativen Konzepten ihren Sitz im „Freischwimmer“ bezogen. Gleiches gilt für das Innovationslabor eines vorderpfälzischen Industriekonzerns. Hinzu kommen Flächen für Co-Working und Events. 2018 ist ein Acceleratoren-Programm erfolgreich angelaufen, nun soll eine Akademie mit dem Fokus „Innovation & Digitalisierung“ folgem. Ein weiterer Schwerpunkt wird auf der kulturellen Transformation als Dienstleistung für Unternehmen aus der Region liegen.
Doch diese positive Entwicklung dürfte schon bald an Grenzen stoßen. Zunächst unbestätigten Medienberichten zufolge gibt es bereits konkrete Pläne, das Stadtmuseum in Teile des „Freischwimmers“ zu verlagern. Ende 2021 muss es das Rathaus-Center verlassen, welches wiederum der geplanten neuen Stadtstraße weichen soll. Ein Museum in einem Gründungs- und Innovationszentrum? Diese Frage beschäftigt auch eine Diskussion an einem der Stehtische. Ein gründungserfahrener Unternehmer zieht wortlos die Augenbrauen in die Höhe. Tiefe Falten zerfurchen seine hohe Stirn. „Dieser Ort ist ein Kleinod, das Ludwigshafen deutlich von anderen Städten abhebt. Es wäre sehr schade, dieses Konzept so zu konterkarieren“, wirft einer seiner Gesprächspartner ein.
Ganz anders sieht das Jutta Steinruck. Die neue Ludwigshafener Oberbürgermeisterin ist an diesem Abend ebenfalls zu Gast. „Ich kann mir das Stadtmuseum hier hervorragend vorstellen“, sagt Steinruck auf Econo-Nachfrage. Neben der berühmten „Kanzler-Sauna“, in der einst Helmut Kohl zu schwitzen pflegte, gebe es im früheren Hallenbad Nord unter anderem ein denkmalgeschütztes Mosaik. „Für Teile des Gebäudes war ohnehin von Anfang an eine andere Nutzung vorgesehen. Daher würde es mich sehr freuen, wenn die Verhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss kommen“, betont das Stadtoberhaupt. Ob das nicht so manches Start-up oder technologieorientierte Unternehmen irritieren könnte? „Da sehe ich keinen Zusammenhang.“
In ihrem Vortrag wendet sich Steinruck denn auch anderen Themen zu. „Wer genauer hinsieht, erkennt, dass Ludwigshafen keine hässliche Stadt ist. Hier gibt es viel Lebensqualität.“ Unter anderem sei sie als Oberbürgermeisterin angetreten, um Wohnraum in allen Preissegmenten zu schaffen, kokettiert sie mit Blick auf die vielen Gäste, die an diesem Abend von der anderen Rheinseite in den „Freischwimmer“ gekommen sind.
Dann benennt die frühere EU-Parlamentarierin einige „Baustellen“. Konkurrenz aus dem Onlinehandel, „auf der grünen Wiese“ sowie fehlende Nachfolger für inhabergeführte Geschäfte hätten zu einem tiefgreifenden Wandel in der Innenstadt geführt, räumt Steinruck ein. Als Konsequenz wolle man nun „die Innenstadt optisch verkleinern“, indem man etwa in der Bismarckstraße Flächen für Wohnen, Arbeiten und Dienstleistungen schaffe. Ein weiteres Sorgenkind bleibt der Berliner Platz. Nach dem Abriss der „Tortenschachtel“ und einem vorläufigen Baustopp ist das Hochhaus-Projekt ins Stocken geraten. Der Ludwigshafener Stadtrat hat beschlossen, „Metropol“-Investor Günther Tetzner noch eine Chance zu geben, um das Projekt realisieren zu können. Derweil protestieren Menschen gegen die für ein zugehöriges Parkhaus nötige Fällung von Platanen. Ausgang ungewiss.
Gleichermaßen ausführlich wie vage extemporiert Steinruck zur Hochstraßen-Problematik. „Die Rheinbrücken sind in Ordnung, nur Straßenteile davor beschädigt“, konstatiert Ludwigshafens Oberbürgermeisterin. „Insbesondere durch den Online-Handel ist der Lkw-Verkehr binnen zehn Jahren um ein Drittel angestiegen“, klagt Steinruck. „Auf eine solche Belastung ist die Verkehrsinfrastruktur nicht ausgelegt.“ Fest steht: Die marode Hochstraße Nord muss abgerissen, die Hochstraße Süd saniert werden. Ursprünglich sollte die Hochstraße Süd vor dem Abriss der nördlichen Strecke erneuert werden – als Ausweichstrecke. Doch Anfang 2019 wurden diese Pläne über Bord geworfen. Geplant ist nun, ab 2023 die Hochstraße Nord abzureißen und dann erst – ab etwa 2030 – die Hochstraße Süd zu sanieren. Eines der zentralen Probleme: Werden diese Pläne umgesetzt, kommt der Lkw-Verkehr über die Hochstraßen komplett zum Erliegen. Auf der Hochstraße Süd besteht seit Herbst 2017 ein Lkw-Fahrverbot. Experten befürchten ein Verkehrschaos – über viele Jahre hinweg. „Ich glaube, dass vieles viel weniger schlimm wird, als viele glauben“, sagt Steinruck. Man sei „für alle Fälle gerüstet“, etwa mit weiträumigen Umleitungen. Auch die vorbereitenden Arbeiten an der Hochstraße Nord – unter anderem müssen dort Büsche und Bäume weichen – seien voll im Zeitplan.
Ob eine dritte Rheinquerung bei Altrip Abhilfe schaffen könne, fragt einer der Zuhörer. Gleich aus mehreren Gründen sieht Steinruck darin keine Lösung: Die Finanzierungsfrage sei ungeklärt, ein Neubau werde zu lange dauern, nicht zuletzt sei das Vorhaben bereits vor Jahren vom Bundesverkehrswegeplan gestrichen worden. Stattdessen präsentiert die Ludwigshafener Oberbürgermeisterin andere Vorschläge: So sollten Pendler noch stärker als bisher den ÖPNV oder das Fahrrad nutzen. An der entsprechenden Infrastruktur werde bereits gearbeitet. Zudem böten sich für viele Lkw-Verkehre aus Mannheim alternative Routen an – etwa über die A6. Die meisten von ihnen hätten ohnehin nicht Ludwigshafen als Ziel. „Alleine können wir es nicht schaffen“, unterstreicht Jutta Steinruck. „Wir brauchen die Unterstützung der gesamten Region.“
Zusammenhalt ist auch bei den Eulen Ludwigshafen entscheidend für Erfolg und Misserfolg. Mit 1,5 Millionen Euro habe der Handball-Bundesligist den kleinsten Etat aller 18 Mannschaften, berichtet Geschäftsführerin Lisa Heßler. Bis auf vier Spieler gingen alle zusätzlich einer Arbeit nach oder studierten. Während Kapitän Gunnar Dietrich abseits der Halle für das Controlling im „Freischwimmer“ verantwortlich ist, befindet sich sein Stellvertreter Kai Dippe auf dem Weg zum Unternehmer. Der Master-Absolvent will ein Modelabel und eine Softwarefirma gründen.
Bei MERITO berichtet der 26-Jährige von einer persönlichen Erfahrung. Kurz nach Dippes Wechsel von der SG Leutershausen nach Ludwigshafen wurde Ben Matschke Eulen-Trainer. „Bei ihm habe ich Abi gemacht“, erinnert sich Dippe. Anfangs freute sich der damals 22-Jährige über jede Minute Spielzeit. Bald schon vertraute ihm sein Trainer über immer längere Spielabschnitte, forderte aber zugleich viel von ihm: „Du musst ein emotionaler Leader werden!“ Dippe belohnte das Vertrauen, indem er Verantwortung übernahm, Leidenschaft und Leistung zeigte. „Wenn wir diese Werte gemeinsam leben, können wir erfolgreich sein – im Sport wie im Beruf.“
(den; Bild: Sandro Stumpf/Buero Abstract)