Lösungen mit Überseecontainern und gegen Leerstand: Wie das Mannheimer Startup Yobst mit ungewöhnlichen Baukonzepten die Nahversorgung neu denkt.

Von Sophia Kürbs

Unsere Autorin ist Jungredakteurin bei HAAS Publishing.

Dichte Wälder, grüne Hügel und endlose Wanderwege: Die Gemeinde Schwanheim mit knapp 600 Einwohnern liegt im Herzen des Pfälzerwaldes und zieht Radfahrer, Wanderer und Naturbegeisterte an. Doch die malerische Idylle bringt Probleme für die Einwohner mit sich: die Nahversorgung.

„Der nächste Supermarkt ist fünf Kilometer entfernt und ist für ältere Bewohner und Familien ohne Auto oder Fahrrad oft schwer zu erreichen“, schildert Herbert Schwarzmüller, seit 25 Jahren ehrenamtlicher Ortsbürgermeister von Schwanheim. In den vergangenen Jahren habe sich die Situation in seiner Gemeinde verändert: Traditionelle Strukturen brechen weg und Alternativen sind rar. Eine Situation, die in kleineren Kommunen vieler Regionen zu beobachten ist.

Ein Treffpunkt für die Gemeinde fällt weg

Direkt neben dem liebevoll neugestalteten Dorfplatz Schwanheims befand sich lange Zeit eine klassische Gemischtwarenhandlung, die auch Herbert Schwarzmüller in jungen Jahren zu schätzen wusste: „So ein Dorfladen ist ein Ort der Zusammenkunft, an dem Erinnerungen entstehen.“ Vor rund sieben Jahren investierte die Gemeinde in die Sanierung und schaffte Raum für ein Café. Dieses entwickelte sich schnell zum Treffpunkt für Jung und Alt. Heute steht das Gebäude jedoch leer.

Doch es gibt Hoffnung: Das Mannheimer Startup Yobst setzt auf ein neues Konzept der regionalen Nahversorgung. Dabei kombiniert das Unternehmen zwei Elemente: ausrangierte Überseecontainer und leerstehende Gewerbeflächen.

Keine klassisch romantische Gründergeschichte

Im Mai 2023 wurde die Yobst GmbH gegründet – und es war keine klassisch romantische Gründungsgeschichte, wie Geschäftsführer Andre Tiede verrät: „Ich arbeitete an anderen Projekten mit einer Investorengruppe zusammen. Im Austausch mit Landwirten entstand ein Bewusstsein dafür, dass viele von ihnen Probleme mit der regionalen Vermarktung ihrer Produkte haben. Daraus entwickelte sich die Idee, eine Art Amazon für Landwirte zu schaffen, sprich einen Marktplatz für die direkte Vermarktung.“

Von der See nach Kandel in der Pfalz: Der erste smarte Yobsti-Laden in einem innovativen Überseecontainer. Foto: Yobst GmbH

Von der See nach Kandel in der Pfalz: Der erste smarte Yobsti-Laden in einem innovativen Überseecontainer. Foto: Yobst GmbH

Gemeinsam mit Softwareentwickler Konrad Kühne und Volkswirt Dr. Victor Winschel entwickelte Tiede eine Plattform, die Erzeuger und Konsumenten digital zusammenbringt. „Dafür haben wir mit Yobst eine Software geschaffen, die regionale Produkte an bestehende Infrastruktur wie Supermärkte, Dorf- und Hofläden verteilen kann“, erklärt Tiede. Die digitale Plattform von Yobst bildete also die Basis und daraus wuchs: Yobsti.

„Die Rückmeldung von den Landwirten war durchweg positiv, weswegen wir uns dazu entschieden haben, einen eigenen Laden zu eröffnen: unseren Yobsti“, erklärt Tiede die Initiative, neben einer digitalen Infrastruktur auch einen physischen Marktplatz für Produkte von lokalen Erzeugern zu erschaffen. Die Idee: ein komplett automatisierter, regionaler Laden – jederzeit zugänglich und ohne Personal vor Ort.

Container statt Neubau: Baukastenprinzip für gute Versorgung

Im Juli 2024 eröffnete die erste Yobsti-Filiale im pfälzischen Kandel: ein umgebauter Überseecontainer, vollautomatisiert, kühltechnisch optimiert, digital gesteuert. Im Dezember folgte ein zweiter Standort in Knittelsheim, diesmal in den leerstehenden Räumlichkeiten einer ehemaligen Bäckerei.

„Für mich sind das keine klassischen Läden, sondern moderne, begehbare Automaten, wo alles aufeinander abgestimmt ist“, so Tiede. Und tatsächlich: Der Container ist nicht einfach ein Verkaufsraum. Er ist ein Systemmodul, das innerhalb weniger Wochen betriebsbereit ist. Bezahlt wird digital, geöffnet wird per EC-Karte. Kameras überwachen den Raum, Bildschirme an den Regalen liefern Informationen zu Produkten und Erzeugern. Die Software hinter dem Yobsti organisiert Bestellungen, Lieferungen, Wareneingänge, Regaleinräumung und Qualitätsmanagement.

Hier könnte schon bald ein neuer Yobsti einziehen: Andre Tiede (l.) und Herbert Schwarzmüller in Schwanheim. Foto: Sophia Kürbs

Hier könnte schon bald ein neuer Yobsti einziehen: Andre Tiede (l.) und Herbert Schwarzmüller in Schwanheim. Foto: Sophia Kürbs

„Ein Container kann innerhalb von vier Wochen komplett ausgebaut und aufgestellt werden“, so Tiede. Die Container stammen meist aus der globalen Logistik, werden nicht neu produziert, sondern weiterverwendet und umgebaut – ein Beitrag zur Kreislaufwirtschaft. Ein Yobsti funktioniert nur mit einem vollständig ausgestatteten Container inklusive Dämmung, Kühlung, Regalsystem, Software-Anbindung und Bezahlsystem. Die Dämmung ist dabei essenziell: „Kühlgeräte und andere technische Geräte erzeugen Wärme. In einem kleinen Raum wie dem Container bringt jede geöffnete Tür das Klima durcheinander“, erklärt Tiede. Gerade im Hochsommer seien die Klimaanlagen ein energieintensiver, aber unvermeidlicher Bestandteil. Der Einsatz von Solaranlagen auf dem Dach wird aktuell geprüft.

Während viele Einzelhandelsketten auf großflächige Neubauten setzen, basiert das Konzept der Yobstis bewusst auf Weiterverwertung: Ausrangierte Überseecontainer erhalten ein zweites Leben, leerstehende Gebäude in Ortskernen werden mit neuem Zweck versehen. „Wir bauen nicht neu, wir bauen um – und das ist der erste nachhaltige Schritt“, so Tiede. Auch in der Software liegt ein entscheidender Beitrag zur Ressourcenschonung: Mithilfe intelligenter Datenanalysen wird das Sortiment bedarfsgenau geplant – Überproduktion und Verderb lassen sich so minimieren. Die Produkte kommen größtenteils aus der Region, was die lokale Wertschöpfung stärkt. „Wenn der Euro in der Gemeinde bleibt, ist das auch Nachhaltigkeit – gesellschaftlich wie wirtschaftlich“, sagt Tiede. Natürlich gibt es Herausforderungen im Bereich Regionalität: Dazu gehört die Verfügbarkeit der Produkte und ihr Preis, da sie händisch und nicht industriell erzeugt werden.

Leerstand als Chance – jedoch nicht ohne Hürden

Neben Containern setzt Yobst auf die Revitalisierung leerstehender Immobilien. In Knittelsheim wurde eine ehemalige Bäckerei modern umgewandelt – inklusive Digitalisierung und neuem Innenausbau. Doch leerstehende Gebäude bergen Herausforderungen. „Bei fast allen leerstehenden Gebäuden muss der Nutzungszweck der Immobilie für den Verkauf von verderblichen Lebensmitteln geändert werden, was einen neuen Bauantrag erfordert. Somit ist der Aufwand genauso hoch, wie wenn neu gebaut wird, nur dass man neue Richtlinien in ein älteres Gebäude implementieren muss. Besonders betroffen ist die Planung des Brandschutzes sowie die Einhaltung der Vorgaben zum Denkmalschutz“, erklärt Tiede.

Trotzdem lohnt sich der Aufwand – denn anders als die Container befinden sich die leerstehenden Läden häufig im Ortskern und sind somit für den Kunden besser sichtbar. „Wenn wir neben einen Yobsti zusätzlich einen Kaffeeautomaten aufstellen, wird aus einem Einkaufsladen wieder ein Ort der Zusammenkunft“, verdeutlicht Schwanheims Ortsbürgermeister Schwarzmüller. Genau das sei der Wunsch vieler Kommunen: Infrastruktur zurück in die Mitte des Dorfes zu holen.

Regionale Vielfalt: Auf kleinstem Raum bietet der Yobsti in Kandel einen bunten Mix regionaler Produkte. Foto: Yobst GmbH

Regionale Vielfalt: Auf kleinstem Raum bietet der Yobsti in Kandel einen bunten Mix regionaler Produkte. Foto: Yobst GmbH

Das Prinzip der Yobsti-Läden beruht auf einer Balance zwischen Standardisierung und Individualisierung. Container können beliebig oft nach Modulbauweise industriell gefertigt werden – das senkt die Kosten. Außerdem können sie flexibel an neuen Orten aufgestellt werden, insofern eine Baugenehmigung vorliegt.

Leerstände dagegen brauchen individuelle Lösungen. „In Containern ist jeder Regalplatz definiert – das erlaubt uns, die Logistik softwarebasiert zu steuern. In Gebäuden brauchen wir mehr Flexibilität“, erklärt Tiede. Doch beides gehört für Yobst zusammen: Schnell aufgestellte Container zur Erschließung neuer Orte. Langfristig nutzbare Gebäude für dauerhafte Präsenz.

In beiden Fällen wird auf minimale Personalkosten gesetzt. Der Betrieb der Container ist weitgehend automatisiert. Zum Team von Andre Tiede gehören insgesamt 16 Mitarbeitende, ein großer Teil ist im Bereich Software und Logistik tätig. Zudem setzt das Startup auf die Unterstützung der Gemeinden: „Wir sind im ständigen Austausch mit unseren Kunden und möchten ein System installieren, in dem sich die Gemeinde am Betrieb der Yobsti beteiligen kann. Das geht von der Auswahl des Sortiments bis hin zu täglichen Aufgaben rund um den Laden. Umso mehr Menschen sich aktiv einbringen wollen, umso mehr kann ein Yobsti zur Attraktivität einer Gemeinde beitragen“, erklärt Tiede.

Aus der Region – für die Region

Auch beim Sortiment setzen die Yobstis auf regionale Stärke. Allerdings stößt auch die Regionalität an Grenzen: „Ein Vollsortiment aus ausschließlich regionalen Produkten lässt sich nicht abbilden“, räumt Tiede ein. Deshalb ergänzt das Unternehmen sein Angebot demnächst um ausgewählte Markenartikel aus dem Großhandel ohne das regionale Profil zu verlieren.

„Unser Ziel ist es, in möglichst vielen Gemeinden in der Pfalz und darüber hinaus vertreten zu sein – mit modularen Lösungen, die sich anpassen lassen“, sagt Tiede. Der Container ermögliche ein schnelles Wachstum, leerstehende Gebäude hingegen eine nachhaltige Integration. Neben Rheinland-Pfalz laufen bereits Gespräche mit Gemeinden im Kraichgau und in Baden. Was alle verbindet: ein wachsender Wunsch nach einer neuen Art der Nahversorgung – nicht als Supermarkt, sondern als Teil des Gemeindelebens.

Ob ein Yobsti auch bald in Schwanheim steht, ist noch offen. Die Voraussetzungen jedenfalls wären ideal: ein leerstehendes Gebäude mitten im Ort, ein motivierter Bürgermeister und eine Bevölkerung, die bereit ist, Neues auszuprobieren. „Die Menschen wissen, dass es ohne neue Ideen nicht weitergeht. Wenn wir mit dem Yobsti einen Mehrwert für unsere Gemeinde schaffen, dann hat sich der Aufwand gelohnt“, sagt Schwanheims Ortsbürgermeister Schwarzmüller.

Wer weiß, vielleicht öffnen sich schon bald wieder die Türen des alten Dorfladens und ermöglichen wieder eine Nahversorgung, die die Attraktivität der Gemeinde in der Pfälzerwald-Idylle einmal mehr aufwertet.

Im neuen econo 2/2025 beleuchten wir auch die Geschichte der Lebensmittelversorgung durch die Mannheimer Konsumvereine – eine Lektüre, die man sich nicht entgehen lassen sollte.