Sie ist Aufsichtsrätin, Unternehmerin, Topmanagerin, Investorin und Mitgründerin des Unternehmerinnennetzwerks encourageventures: Ina Schlie. Im Gespräch mit econo erklärt sie, warum Diversität der Schlüssel zu mehr Innovation ist, wie ihr Netzwerk Gründer und Investoren zusammenbringt – und was es braucht, damit Deutschlands Startup-Szene international mithalten kann.

Von Katja Bauroth

Katja Bauroth ist seit 30 Jahren in der Medienwelt unterwegs und Head of Content bei econo.

Frau Schlie, Sie haben das Unternehmerinnennetzwerk encourageventures mit gegründet. Welche Motivation steckt dahinter?

Ina Schlie: Die Motivation hinter der Gründung von encourageventures ist, mehr Vielfalt in die Startup- und Investmentlandschaft zu bringen. Wir haben ein überregionales Ecosystem geschaffen, das Gründerinnen und Investoren auf vielfältige Art und Weise zusammenbringt und so die Innovationskraft steigert. Als Investorin sehe ich tagtäglich, wie wichtig es ist, dass unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungen in Innovationsprozesse einfließen. Darüber hinaus möchten wir aktiv dazu beitragen, die Rahmenbedingungen für Gründerinnen und Gründer sowie Investorinnen und Investoren in Deutschland und Europa nachhaltig zu verbessern. Aus diesem Grund engagieren wir uns auch politisch und haben ein eigenes Positionspapier verfasst. Im internationalen Vergleich werden in Deutschland noch immer zu wenige Unternehmen gegründet. Das liegt nicht nur an komplexen regulatorischen Anforderungen, sondern auch an der unzureichenden Verfügbarkeit von Wagniskapital. Zudem mangelt es an einer ausreichend großen Zahl an Business Angels – auch hier möchten wir Veränderung bewirken. Unser Ziel ist es, die Assetklasse Risikokapital gemeinsam attraktiver zu gestalten und so Innovation und Unternehmertum gezielt zu fördern.

Wie hat sich der Verein seit der Gründung im Jahr 2021 entwickelt?

Schlie: Seit der Gründung hat sich encourageventures dynamisch entwickelt und als zentrale Plattform für divers geführte Startups sowie Investoren in Deutschland und darüber hinaus etabliert. Das Netzwerk umfasst inzwischen knapp 1.300 divers geführte Startups sowie mehr als 750 registrierte Investorinnen und Mentoren – Tendenz täglich steigend. Mit zehn Regional Hubs haben wir dezentrale Strukturen geschaffen, in denen zahlreiche Aktivitäten stattfinden, von Meetups bis zu großen Netzwerktreffen. Besonders erfolgreich sind unsere regelmäßigen Formate wie die monatliche Online-Pitch-Night, regionale Live-Events und unser Mentoring-Programm. Ein weiterer Meilenstein war die Veröffentlichung unserer ersten eigenen Studie im Jahr 2023, die die positive Wirkung von mehr Diversität in der Investorinnen- und Investorenlandschaft unterstreicht. Mehr und mehr vernetzen wir uns auf europäischer Ebene mit anderen Initiativen und engagieren uns in der Öffentlichkeitsarbeit in Berlin.

Welche konkreten Ziele verfolgen Sie mit dem Verein für die Startup-Szene in der Metropolregion Rhein-Neckar?

Schlie: Wir möchten das regionale Startup-Ökosystem durch mehr Vielfalt und Sichtbarkeit stärken. Unsere Ziele sind es, divers geführte Startups gezielt zu fördern und mehr Menschen für eine Rolle als Investor zu gewinnen. Durch Veranstaltungen, Qualifizierungsangebote und den Austausch zwischen Gründern und Investorinnen tragen wir dazu bei, Innovationspotenziale besser zu nutzen und neue Perspektiven zu schaffen. Ein Beispiel für unsere Arbeit war das Innovation & Equity in HealthTech Summit 2024, das wir mit dem DKFZ veranstaltet haben, und eine in Kooperation mit den PALATINA Business Angels durchgeführte Rhein-Neckar Pitch-Night.

Ina Schlie (2. v. l.) und das Investorinnen-Netzwerk encourageventures initiierten gemeinsam mit den PALATINA Business Angels Rhein-Neckar eine Pitch-Night in Heidelberg, bei der Gründerinnen ihre Startups vorstellten. Foto: Katja Bauroth

Ina Schlie (2. v. l.) und das Investorinnen-Netzwerk encourageventures initiierten gemeinsam mit den PALATINA Business Angels Rhein-Neckar eine Pitch-Night in Heidelberg, bei der Gründerinnen ihre Startups vorstellten. Foto: Katja Bauroth

 

Inwieweit spielt die Kooperation mit beispielsweise den Rhein-Neckar Business Angels eine Rolle? 

Schlie: Kooperationen sind ein zentraler Bestandteil unserer Arbeit. Wir suchen bewusst die Zusammenarbeit mit Partnern, die unsere Ziele teilen. Durch diese Partnerschaften können wir Investorinnen und Investoren bei gemeinsamen Veranstaltungen wie der Rhein-Neckar Pitch-Night vernetzen, Gründungen gezielt unterstützen und mehr Vielfalt in der Szene verankern.

Wie werden Startups ausgewählt, die über encourageventures unterstützt werden?

Schlie: Startups aus aller Welt können sich über unsere Website in unserem Netzwerk registrieren. Voraussetzung für die Aufnahme ist, dass mindestens eine Frau im Gründungsteam vertreten ist. Anschließend wird das Startup von einem Screening-Team bewertet, um das Geschäftsmodell und das Marktpotenzial zu bewerten und den individuellen Bedarf an Unterstützung und Finanzierung zu ermitteln.

Wie genau sieht diese Unterstützung aus?

Schlie: Die Unterstützung richtet sich nach den Bedürfnissen der Startups, dazu gehört auch die Begleitung von Finanzierungsrunden. Wir veranstalten jeden Monat Online-Pitch-Nights, Vernetzungsveranstaltungen wie die COURAGE in Berlin, regionale Treffen, Meet-ups und die Startup Academy, die wir zu allen Fragestellungen entlang des Lebenszyklus der Startups entwickelt haben. Besonders wertvoll ist für viele Gründerinnen und Gründer auch das Mentoring-Programm, bei dem erfahrene Investoren oder Mentorinnen ein Unternehmen über einen Zeitraum von bis zu neun Monaten begleiten.

Wie wird man als Startup auf Ihre Initiative aufmerksam und kann um Hilfe bitten?

Schlie: Startups erfahren über verschiedene Kanäle von unserer Initiative. Sie können sich direkt über unsere Website registrieren und ihren Unterstützungsbedarf angeben. Darüber hinaus bieten wir öffentliche Veranstaltungen an, die den persönlichen Austausch fördern, und sind regelmäßig in sozialen Netzwerken sowie in Printmedien präsent.

Wie können Unternehmen in der Region von Ihren Erfahrungen und Ihrem Netzwerk profitieren?

Schlie: Unternehmen in der Region profitieren auf mehreren Ebenen von unserem Netzwerk. Zum einen können sie durch die Zusammenarbeit mit Startups Zugang zu innovativen Ideen, Technologien und Geschäftsmodellen erhalten. Zum anderen bieten wir eine Plattform, um sich aktiv in der Förderung von Diversität zu engagieren – etwa durch gemeinsame Veranstaltungen. Zudem ermöglicht der Austausch mit Gründern, Investorinnen und anderen Netzwerkpartnern neue Perspektiven auf unternehmerische Herausforderungen und trägt zur Stärkung des regionalen Innovationsökosystems bei.

Wie kann Ihre Initiative mehr Frauen dazu ermutigen, als Business Angels oder Investorinnen aktiv zu werden?

Schlie: Ein zentrales Ziel von encourageventures ist es, insbesondere mehr Frauen, inzwischen aber auch immer mehr Männer, für den Einstieg in das Business-Angel-Umfeld zu gewinnen. Viele potenzielle Investorinnen und Investoren bringen bereits herausragende und wertvolle Erfahrungen aus dem Berufsleben mit, sind aber noch nicht mit den Strukturen der Startup- und Investmentwelt vertraut. Hier setzen wir mit gezielten Informations- und Qualifizierungsangeboten an – etwa über unsere Business Angel Academy oder durch niedrigschwellige Veranstaltungsformate, wie Investorentreffen jeglicher Art. Besonders wichtig ist uns der persönliche Austausch: Sichtbare Vorbilder, Mentoring und der Zugang zu einem unterstützenden Netzwerk schaffen Vertrauen und senken Einstiegshürden nachhaltig.

Was sind für Sie die wichtigsten Kriterien bei der Entscheidung, in ein Startup zu investieren?

Schlie: Wichtige Kriterien sind das Potenzial und die Skalierbarkeit des Geschäftsmodells, die Kompetenzen des Teams sowie die Leidenschaft und Vision der Gründerinnen sowie Gründer. Ein weiteres Kriterium ist die Diversität im Team, da verschiedene Perspektiven zu innovativeren Lösungen führen.

In wie viele Startups haben Sie bisher investiert und in welchen Branchen?

Schlie: Ich habe in knapp zwei Dutzend Startups investiert, unter anderem in den Bereichen EdTech, Life Science, Chemie, Impact, HRTech, KI- und Softwarelösungen sowie Virtual Reality. Ich fokussiere mich auf Unternehmen, die innovative Lösungen und das Potenzial haben, Märkte nachhaltig zu verändern. Ich bringe meine 20-jährige Erfahrung im Topmanagement bei der SAP SE mit, die mir geholfen hat, ein tiefes Verständnis für Geschäftsmodelle und Unternehmensstrategien zu entwickeln. Diese Erfahrung hat mich auch dazu motiviert, meine Komfortzone zu verlassen und von den flexiblen, disruptiven Geschäftsmodellen der Startups zu lernen und zu profitieren.

Welche Erfahrungen konnten Sie hierbei machen – positiv wie negativ?

Schlie: Positiv ist es, zu sehen, wie Startups mit innovativen Ideen in der Lage sind, Märkte zu verändern und Lösungen für wichtige gesellschaftliche Herausforderungen zu bieten. Startup-Investments sind mit einem hohen Risiko verbunden, insofern liegt es in der Natur der Sache, dass Startups auch scheitern können. Das liegt nicht immer nur an den Geschäftsmodellen, sondern auch daran, dass zu wenig Venture Capital (VC) im deutschen Markt verfügbar ist.

Wie unterscheidet sich Ihr Ansatz als Investorin von dem traditioneller Venture-Capital-Firmen?

Schlie: Mein Ansatz ist stärker auf Vielfalt und langfristige, nachhaltige Entwicklung ausgerichtet. Während traditionelle VC-Funds aufgrund ihrer beschränkten Laufzeit oft auf schnelle Skalierung und Exit-Strategien fokussiert sind, setze ich auf Partnerschaften, die den Gründer:innen helfen, sich langfristig zu etablieren und stabile Unternehmen aufzubauen. Nehmen wir das Beispiel SAP: Das Unternehmen wurde im Jahr 1972 gegründet und ist erst im Jahr 1988 an die Börse gegangen. Auch der Aufbau von Champions braucht einen langen Atem.

Welche Trends sehen Sie aktuell in der Startup-Szene der Metropolregion Rhein-Neckar?

Schlie: Es gibt einen starken Trend hin zu innovativen Lösungen in den Bereichen Life Science und Software. Auch hervorzuheben sind Startups, die sich mit der Integration von Künstlicher Intelligenz und Digitalisierung in klassische Branchen beschäftigen.

Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach die Metropolregion Rhein-Neckar im deutschen Startup-Ökosystem?

Schlie: Die Metropolregion Rhein-Neckar hat sich als ein sehr wichtiger Innovationsstandort etabliert und profitiert von ihrer starken Universitäts- sowie Forschungsumgebung, die viele innovative Ideen hervorbringt. Schauen wir uns zum Beispiel die Stadt Heidelberg an: Laut einer aktuellen Studie ist Heidelberg deutschlandweit die Stadt mit den meisten Firmenneugründungen pro Kopf. Im Jahr 2024 wurden 13,5 Startups pro 100.000 Einwohner gegründet, was Heidelberg an die Spitze der bundesweiten Rangliste katapultierte.

Rückblickend auf Ihre Karriere: Wo haben Sie Hilfe erfahren, die Sie weitergebracht hat, wo hätten Sie sich niedrigere Hürden gewünscht?

Schlie: Rückblickend auf meine Karriere habe ich entscheidende Unterstützung von Menschen erfahren, die meine Potenziale erkannt, gefördert und mich in Schlüsselpositionen gebracht haben, auch wenn nicht jeder Weg vorgezeichnet war. Besonders wertvoll war stets der Austausch mit anderen starken Persönlichkeiten – Impulse, die manchmal nicht bequem, aber entscheidend für mein Wachstum waren. Niedrigere Hürden hätte ich mir in jenen Momenten gewünscht, in denen Strukturen und Zugangsmöglichkeiten unnötig kompliziert waren – weniger wegen fehlender Kompetenz, sondern weil Netzwerke und Spielregeln nicht transparent gestaltet wurden. Für Leistungsträgerinnen und -träger muss der Anspruch sein, Türen nicht erst durch Ausdauer und über Netzwerke zu öffnen, sondern durch klare Kriterien und echte Chancengerechtigkeit. Schauen wir auf die Zahlen: Der Anteil von Gründerinnen liegt bei lediglich 18,8 Prozent, der Frauenanteil in Führungspositionen der deutschen Wirtschaft und im Bundestag beträgt etwa ein Drittel. Das ist inakzeptabel – und nicht im Interesse einer modernen, zukunftsfähigen Gesellschaft und Volkswirtschaft.

Mehr zu encourageventures, den PALATINA Business Angels und spannenden Startups gibt es im neuen econo 2/2025.