Ein Gespräch mit dem Geschäftsführer Jochen Wagner und seinen Mitarbeitenden Lena Sebastian und Sascha Deissler. Es geht um Kreativität durch Vertrauen – und wie das alles mit „New Work“ zusammenhängt. 

 

Der 2021 verstorbene Sozialphilosoph Frithjof Bergmann träumte davon, die Menschen aus der „Knechtschaft der Lohnarbeit“ zu befreien. Daher gründete er die Bewegung „New Work“ – ein Schlagwort, das auch in Ihrem Unternehmen eine wichtige Rolle spielt. Hat die Kahl GmbH ihre Mitarbeitenden aus der „Knechtschaft der Lohnarbeit“ befreit? 

Lena Sebastian (lacht): Tatsächlich sind wir mit Spaß bei der Arbeit. Knechtschaft gibt es nicht in unserem Unternehmen, dafür aber eine tolle Arbeitsatmosphäre, in der wir arbeiten. Bergmann dachte vor allem daran, sich vom alleinigen Fokus auf die Aufgabe zu lösen, hin zu einer Verwirklichung der eigenen Persönlichkeit. Genau das erlebe ich bei KAHL, wenn wir gemeinsam Ziele für unsere Kunden erreichen wollen. 

Bergmann stellte sich vor, dass sich Menschen bei der Arbeit daran orientieren, „was sie wirklich, wirklich wollen.“ Die Arbeit sollte mit Träumen, Begabungen und Hoffnungen übereinstimmen. Gelingt das bei KAHL? 

Sascha Deissler: Ja, absolut! Ich habe mir meine Tätigkeit hier bewusst ausgesucht. Denn wir verbringen große Teile unseres Lebens bei der Arbeit. Da ist es für mich wichtig, Menschen um mich zu haben, mit denen ich sehr gerne zusammenarbeite – und sogar Freundschaften entstehen. Das erleichtert mir erheblich die Arbeit. 

Jochen Wagner: Dabei ist auch Saschas Werdegang interessant. Er stieg bei uns ursprünglich in der Fachdisziplin „Gestaltung“ ein. Wir konnten ihn als kreativen Kopf für uns gewinnen. Das war aber nur eine Stärke, er besitzt noch weitere Talente, besonders im vertrieblichen Bereich. Wir haben ihn dann gefragt, ob er sich vorstellen könnte, dorthin zu wechseln. Das war seine freie Entscheidung – und er macht jetzt im Vertrieb einen großartigen Job. Wir nageln die Mitarbeitenden nicht starr auf die Punkte einer Stellenbeschreibung fest. Vielmehr geht es uns um die Entfaltung der Persönlichkeit und die Freiheit des einzelnen Menschen. Unsere Mitarbeitenden sollen das als Aufgabe bekommen, was sie wirklich machen wollen – und nicht einfach nur müssen. So wie es Bergmann vorgedacht hat. 

Was sind Ihre Aufgaben bei KAHL, Frau Sebastian? 

Lena Sebastian: Ich leite den Vertriebsinnendienst, zusammen mit meinem Copiloten Bernhard Deisemann. Da bin ich für ein Team von elf Leuten verantwortlich. Ich habe eine Initiativbewerbung an KAHL geschickt, weil mich schon der Spirit begeisterte, den die Website ausgestrahlt hat. 

Wie würden Sie, Herr Wagner, den Begriff „New Work“ als Geschäftsführer erklären – für jemanden, der davon noch nie etwas gehört hat? 

Jochen Wagner: Das ist keine leichte Aufgabe. Denn zunächst ist „New Work“ immer in der Kultur eines Unternehmens verankert. Wir beschäftigen uns zwar im sichtbaren Teil unserer Arbeit mit Räumen und ihrer Einrichtung. Das ist aber der Schlusspunkt unserer Aktivitäten. Den Kern von „New Work“ erreichen wir, sobald wir mit unseren Kunden in einen Dialog einsteigen, um herauszufinden: Wer ist eigentlich dieser Kunde? Wie tickt er? Welche Werte hat er?  

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Was ist „New Work“? 

Der Sozialphilosoph Frithjof Bergmann lebte von 1930 bis 2021. Er begründete die „New Work“-Bewegung – mit dem Ziel: Die klassische Erwerbsarbeit sei durch ein Modell der Beschäftigung zu ersetzen, „bei dem der Einzelne zu einem Drittel klassischer Erwerbsarbeit nachgeht, zu einem Drittel Arbeit verrichtet, die er wirklich will und zu einem Drittel ‚High-Tech-Eigenproduktion‘ betreibt.“ Das schreiben Benedikt Hackl u. a. in ihrem Buch „New Work: Auf dem Weg zur neuen Arbeitswelt“. Sie machen darauf aufmerksam, dass es „traditionsbedingte Hemmnisse“ und „starre Mentalitätsmuster“ in Unternehmen gibt. Zum Beispiel: 

  • Festhalten an alten Strukturen und Prozessen 
  • Abschottung gegenüber neuen Einflüssen 
  • Angst vor Fehlern 
  • Überhöhte Absicherungstendenzen

Diesen beharrenden Kräften stellen die Autoren entgegen: „Veränderungsbereitschaft, Anpassungsfähigkeit, Agilität, Resilienz oder Mobilität“. Damit steht der Begriff „New Work“ heute für eine Arbeitswelt, die sich grundlegend und nachhaltig verändert, und zwar in vielen Varianten, die Bergmanns Ideen weiterentwickeln. Dafür ist auch Vertrauen ein wichtiger Faktor, so wie es Lena Sebastian von KAHL ausdrückt: „Wir bringen unseren Leuten ein großes Vertrauen entgegen, zumal Sie auch die Fachleute sind, die wissen, was zu tun ist.“ 

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So meißeln wir die Identität des Kunden heraus, um seine momentane Arbeitsweise zu erkennen. Wie würde es aber potenziell besser gehen? Etwa, wenn wir über Traditionen nachdenken und sie teilweise brechen? So entsteht die Freiheit, dass die Leute machen, was sie wirklich wollen. Das steckt leider nicht in der DNA deutscher Unternehmen. Die Leute trotzdem bei diesem Prozess mitzunehmen, das ist die eigentliche Reise nach „New Work“. 

Sie haben dabei zwei Stoßrichtungen: Sie arbeiten mit Ihren Kunden an diesen Ideen, und Sie versuchen Bergmanns Gedanken im eigenen Unternehmen umzusetzen? 

Nur so kann es gehen … Als wir vor Jahren begonnen haben, uns mit „New Work“ zu beschäftigen, haben wir erkannt, wie spannend diese Ideen sind – und wie viele Vorteile sie bringen können. Wenn wir davon etwas an unsere Kunden weitergeben wollen, müssen wir das auch vorleben. Sascha hat es gerade klar gesagt: „New Work“ ist für uns keine Kulisse. Wir können nicht Wasser predigen und Wein trinken. 

Wie passt das zusammen? Auf der einen Seite Arbeit neu organisieren, auf der anderen Seite Büromöbel verkaufen? 

Sascha Deissler: Das passt gut zusammen, weil wir, die Firma KAHL, schon ein Musterbeispiel sind. Wir haben kurze Wege zwischen Planung, Verkauf und Innendienst. Über ein Buchungssystem können wir uns spezielle Arbeitsplätze reservieren, genauso wie Konferenzräume. Da setzen sich dann die Beteiligten aus einem Projekt für einen Tag zusammen. 

Dabei gibt es aber noch eine Hierarchie: Geschäftsführung, Teamleitung/Abteilungsleitung, Mitarbeitende. 

Lena Sebastian: Diese Ebenen haben noch ihre Bedeutung, soweit bestimmte Prozesse so definiert sind, dass sie sich entlang von Kommunikationswegen abspielen. Aber die Führungskräfte haben relativ freie Gestaltungsspielräume. Wir haben keine enge Führung, wir müssen niemanden an die Hand nehmen. Im Gegenteil: Wir bringen unseren Leuten ein großes Vertrauen entgegen, zumal Sie auch die Fachleute sind, die wissen, was zu tun ist. Die Führungskräfte geben mehr einen Rahmen vor, in dem sich die Mitarbeitenden sicher bewegen. Falls es fachliche oder menschliche Probleme gibt, kann sich jeder von ihnen direkt an uns wenden. 

Jochen Wagner: Wenn ein Unternehmen nach dem Kontrolletti-Prinzip aufgebaut ist, können Sie die Konzepte von „New Work“ sofort vergessen. Dann haben Sie die kurze Leine, die engen Vorgaben, die Gängelung – und die Kreativität geht völlig verloren. Überall ist davon die Rede, die Wirtschaft brauche die kreativen Köpfe und alle Prozesse ohne Kreativität werde in Kürze die „Künstliche Intelligenz“ (KI) erledigen. Wir müssen also dafür sorgen, die Kreativ-Potenziale zu heben. Das gelingt aber nicht durch eine Gängelung der Mitarbeitenden. 

Das war auch ein Gedanke von Bergmann: Die Automatisierung frisst Arbeitsplätze. Daher brauchen wir mehr Eigenarbeit, Nachbarschaftshilfe und kreative Jobs. 

Jochen Wagner: Exakt. Da stellt sich natürlich die Frage: Wie hängt das zusammen? Ideen von „New Work“ und die Gestaltung von Büroräumen? Wir verstehen uns dabei als Übersetzer. Wir wollen die Unternehmenskultur unserer Kunden in Gestaltung und Struktur übersetzen. Dazu sind Räume und ihre passende Einrichtung nötig. 

Wie verzahnen sich dabei Möbel und Unternehmenskultur? 

Jochen Wagner: Auf ganz unterschiedliche Art und Weise, weil bei dieser Frage das individuelle Gepräge einer Firma zu Tage tritt. Wir schauen uns genau an, wie der Kunde arbeiten will. Dann überlegen wir, welches Raum- und Organisationskonzept wird wohl diese Ziele maximal fördern. Daraus entsteht eine hoch individuelle Gestaltung. „Schema F“ ist nicht unsere Welt, genauso wenig wie „copy and paste“. 

Lena Sebastian: Für uns besteht „Agilität“ auch darin, einen sehr engen Kontakt zum Kunden aufzubauen; wir wollen genau erfahren, wie er die Welt sieht. Jochen hat es einmal so ausgedrückt: Wir verwandeln Kultur in Räume. Das ist für mich die perfekte Übersetzung unserer Arbeit. Dazu suchen wir auf diese Fragen eine Antwort: Wie viel hoch konzentrierte Arbeit müssen Mitarbeitenden leisten? Welche Kommunikation ist nötig? Welche Begegnungsflächen werden gebraucht, um die Kreativität zu fördern? Das alles erarbeiten wir in Workshops mit den Kunden, das ist unser zentrales Thema! 

Brauchen Sie da nicht Kunden, die ganz ähnlich wie Sie ticken? Vermutlich sind über 90 Prozent aller Unternehmen völlig anders aufgestellt. Wird Ihr Marktsegment so nicht sehr klein, wenn Sie diese Ansprüche aufrechterhalten wollen? 

Jochen Wagner: Wir sehen das positiv, da besteht ein starkes Wachstumspotenzial (alle lachen). Wir haben jetzt schon keine Langeweile, zumal Corona ein echter Brandbeschleuniger war. Es haben sich viele Firmen lange Zeit damit abgefunden, nicht an diesen Fragen zu arbeiten. Das betrifft besonders traditionelle Mittelstandsbetriebe, oft inhabergeführt. Der Inhaber sah seinen Job als Arbeiter im Unternehmen, jetzt merkt er: Ich muss am Unternehmen arbeiten. Da wachen immer mehr Inhaber auf und suchen sich Unterstützung, um das unbekannte Terrain von „New Work“ zu betreten. 

Sie ermöglichen es Gästen, sich mit ihrem Laptop ins WLAN zu hängen, sich eine schöne Ecke zu suchen und mit ihrer Arbeit loszulegen. Was steckt hinter dieser ungewöhnlichen Form der „Probearbeit“? 

Sascha Deissler: Einfach mal reinschneien … so einfach ist das natürlich nicht. Da sollten unsere Gäste schon einen Termin vereinbaren. Es ist aber richtig: Wir bieten unseren Kunden an, dass sie hier alle Flächen mit ihren Mitarbeitenden testen. So können sie an einem Tag herausfinden, wie Büroumgebungen zu gestalten sind, damit sie für ihr Unternehmen sinnvoll werden. 

Jochen Wagner: Dieses Angebot machen wir vor dem Hintergrund, dass es sehr schwer sein kann, eine Denkhaltung wie „New Work“ Menschen zu vermitteln, die bisher damit nicht in Berührung gekommen sind. Medial ist das gerade eine große Nummer, alle reden über „New Work“, doch jeder stellt sich unter dem Begriff etwas anderes vor. Wir haben da einen doppelten Nutzen: Einerseits lernen die Menschen unkompliziert durch eigene Erfahrung, worum es bei dieser neuen Denkhaltung geht. So ist es leichter möglich zu prüfen, ob diese Arbeitsweise zum Unternehmen passt. Wir wollen das ja niemandem pauschal verordnen!  

Andererseits ist zu erkennen, was bei uns dabei herausgekommen ist. Denn wir mussten ja in diesem Veränderungsprozess selbst bewältigen, was auf unserem Weg zu einer neuen Kultur auftauchte: Was waren die Fallstricke? Was hat uns kalt erwischt? Es wäre eine Milchmädchenrechnung, einfach schicke Möbel ins Büro zu stellen und auf diese Weise „New Work“ einzuführen. 

Ein Motto bei Ihnen lautet: „Räume fördern das Denken“. Was meinen Sie damit?  

Jochen Wagner: Ein anderer Satz ist auch wahr: „Wer Räume ändert, ändert Menschen“. Denn: Der gestaltete Raum übt immer einen Einfluss auf Menschen aus; Räume und Menschen lassen sich niemals isoliert voneinander betrachten. Wenn wir diese Wirkung auf die Befindlichkeit und die Selbstwahrnehmung der Menschen kennen, dann müssen wir für einen möglichst positiven Einfluss sorgen. Das ist nicht leicht, bei uns arbeiten z. B. vier Generationen unter einem Dach, die sehr unterschiedlich gestrickt sind. Jeder Mitarbeitende soll seine berufliche Heimat finden, was wir durch gute Gestaltung unterstützen. 

Interview: Ingo Leipner; Bilder: Thomas Neu